1939 | 1940 | 1941 | 1942 | 1943 | 1944 | 1945
Die erschütternden Erfahrungen von Willi Baumeister und seiner Familie während des Zweiten Weltkrieges von August 1939 bis Mai 1945 (zusammengestellt von seiner Tochter Felicitas Baumeister anhand von Tagebucheintragungen Willi Baumeisters - eingerückt und kursiv - sowie ihren eigenen Erinnerungen).
1939
1. August 1939 bis 31. Dezember 1939
Trotz der ständigen Bedrohung durch die Nationalsozialisten verbringt die Familie noch schöne Sommertage im August 1939 in der Schweiz:
Unsere letzten Tage in Locarno sind besonders schön.
Aber gleich danach der Eintrag von Eindrücken auf der Rückreise in Konstanz in das Tagebuch:
28.8.1939
Politische Hochspannung? Merkwürdige Erregung im Publikum.
1.9.1939
Fahrt über den sehr schönen Bodensee nach Hagnau zu Familie Bissier.
Julius Bissier berichtet, dass er eine Rede Hitlers gehört habe, wonach Polen und Deutschland in kriegerische Handlungen eingetreten sind.
Was wird weiter werden? Also Kriegsbeginn, schaurige Folgen.
3.9.1939
(Zurückgekehrt nach Stuttgart)
Sandsäcke vor den Untergeschossfenstern in den Strassen, Kriegszustand mit England und Frankreich.
9.11.1939
Gestern Abend Attentat auf Hitler in München. Explosion erfolgte 10 Minuten nachdem Hitler den Bürgerbräu-Keller verlassen hatte.
27.11.1939
Rasch, Wuppertal, akzeptiert meine Wandbild-Vorschläge ... für Fabrik Herberts.
Es ist für unsere Familie sehr erfreulich und wichtig, dass der Wuppertaler Architekt Heinz Rasch immer wieder Bilder von Baumeister erwirbt und auch die Verbindung zu Kurt Herberts, dem Inhaber der Lackfabrik, herstellt. Baumeister erhält von Dr. Herberts Aufträge für die Gestaltung der Wände des Treppenhauses für das geplante Laboratoriumsgebäude einschließlich der Herstellung der Wandbilder, sowie die Bemalung von Schränken und Kassetten.
24.12.1939
Heiliger Abend wird begangen... Harmonischer Abend trotz Krieg. Die Freude der Kinder lässt ihn vergessen.
1940
Die Ausführungen des Auftrags über die Wandbilder und die Erforschung der Maltechniken interessiert Baumeister einerseits, andererseits geht die Zeit, die er damit zubringt, zu Lasten seiner eigenen Arbeit, die für ihn besonders wichtig ist. Aus Mangel an Malmaterialien stellt Baumeister sich folgende Frage:
23.1.1940
Wie soll es demnach mit der Malerei weitergehen? Wir sind froh, dass wir genügend zu Essen haben und wissen es zu schätzen, dass wir 25 Pfund Kartoffeln von Onkel Kämmerer erhalten.
Zwischen den Beschreibungen des Krieges im Tagebuch trägt Baumeister folgendes ein:
19.4.1940
Drei Tage Sonne macht plötzlich die Bäume grün- Der Kirschbaum blüht. Man möchte sich gerne über den Frühling freuen.
3.5.1940
... nach längerer Pause wieder das "Eigene" getan.
Die Nachricht, dass durch den Krieg in Paris nichts zerstört worden ist, erleichtert Baumeister sehr in Gedanken an die französischen Freunde und alle Kunstschätze. Baumeister ist mehrmals in Wuppertal zur Besprechung mit Dr. Herberts über die Veröffentlichung der maltechnischen Forschungsarbeiten, die Wandbilder betreffend, die Baumeister angefertigt hat. Dazu soll er im Wesentlichen den Text verfassen.
Am 23.6.1940 berichtet Baumeister über Fliegerbeschießung in einiger Ferne, jede Nacht. Es ist mehrmals Fliegeralarm, so dass die Familie oft im Keller sein muss.
Am 5. Juli erfahren wir durch die Frau des Architekten Bodo Rasch vom Tod Paul Klees:
5.7.1940
Frau des Architekten Bodo Rasch (Bruder von Heinz Rasch) übermittelt telefonisch die Nachricht, dass der Maler Paul Klee in Bern verstorben ist. Sie hat einen kurzen Nekrolog von einem Schweizer Konsulatsbeamten bekommen.
(In deutschen Zeitungen erscheint darüber nichts)
Ein außerordentlicher Mensch und hervorragender Maler war dieser Paul Klee. Der beste Maler seiner Generation in Deutschland und darüber hinaus, der beste Maler der expressionistischen Epoche, obschon er nicht ganz dazu zu rechnen ist. Außerordentlich an formalen und inhaltlichen Einfällen, außerordentlich im farbigen Ausdruck. Seine Methode muss erstaunlich gewesen sein. In gewissem Sinn gleichwertig den bedeutensten Malern: Picasso, Braque.
Baumeister ist intensiv an der Arbeit für die Wandbilder, die er im Maler-Saal der Kunstgewerbeschule (jetzt Staatliche Akademie der Bildenden Künste) am Weissenhof ausführt. Trotz der Kriegsereignisse mit nächtlichem Fliegeralarm, Zerstörung von Häusern und Berichten von Todesopfern. Trotz starker Bedrückung sind 16 Wandbilder fertig. Heinz Rasch kommt nach Stuttgart, um diese für Dr. Kurt Herberts zu übernehmen.
24.12.1940
Weihnachten haben wir einen schönen harmonischen Abend. Baumeister hat verschiedene Hintergründe für das Kasperle-Theater gemalt.
Am 31.12. gedenken Margrit und Willi Baumeister dem scheidenden und kommenden Jahr.
1941
Im vergangenen Jahr war ich sehr beschäftigt mit der Ausführung der Aufträge für Dr. Herberts. Die alten Wand-Malerei-Techniken sind interessant...
1.1.1941
Was wird es bringen? Seit Sept. 1939 Krieg, Lebensmittelmarken, Bezugsscheine, Kohlenknappheit, Verdunkelung, Fliegerangriffe nachts u.s.w. Laut Rede des Führers soll dieses Jahr der Krieg zu Ende sein?
13./14.2.1941
Ein wenig Arbeit im Atelier. Das fortgesetzte oft wochenlange Unterbrechen der künstlerischen Tätigkeit macht sich unliebsam bemerkbar. Es wäre durchaus nötig, ununterbrochen arbeiten zu können, um Resultate zu erzielen. Warum u. zu welchem Ende malen? In den Abgrund des Ich alles hinein. Nie Öffentlichkeit.
10.3.1941
... Da es keine Leinwand mehr gibt, male ich auf Pappe kleine Formate. Im Atelier ist es sehr schön still. Andererseits ist es nicht leicht, die Depressionen dieser Zeit auszuhalten. Dies nun seit 7 Jahren. Vermutlich kann ich nie mehr meine Bilder in Ausstellungen zeigen. Ich arbeite also ausschließlich für mich selbst allein. Das künstlerische Schaffen ist zwar primär: für sich selbst. Aber in Praxis ist dies außerordentlich hart (in geheim zu haltenden Arbeiten) völlig isoliert zu stehen. Zu allem kommt noch die Erwägung, wer wird nach dem Ableben die Bilder gut bewahren, bis sie einmal wieder gezeigt werden können. Werden sie, die mit aller Hingabe gefertigt wurden, ohne Resonanz untergehen, verschwinden?
Außerdem besteht ein wenig die Gefahr, daß sie im jetzigen Krieg schon durch eine Zufallsbombe von Fliegern zerstört werden, falls das Haus getroffen würde. Werde ich Ausstellungen von meinen Bildern überhaupt erleben? Die offiziellen Ausstellungen zeigen nur "Bilderbogen" für das Volk. Keine Spur künstlerisches Wollen und Gestalten. Kein Atem der Freiheit der Kunst und des Künstlers. Starke Bedrückung. Kein Licht.
1.9.1941
Das dritte Kriegsjahr beginnt.
Am 7.Oktober 1941 fährt die Familie nach Italien. Dr. Herberts vermittelt die Visa. Wir besuchen Verona, Venedig, Bologna und Florenz und haben viel Freude.
19. Oktober 1941
Solche Reisefreuden haben wir dem Kriegsverhängnis abgepresst.
1942
1.1.1942
Malgré tout.
Anfang Januar 1942 hat Baumeister den Tod seines Bruders Hans zu verkraften. Baumeister unternimmt Untersuchungen für Dr. Kurt Herberts. Es geht um die Bemalung der Flächen von Steinen mit Motiven der Eiszeitbilder. Baumeister vermutet, dass zu jener Zeit die Menschen keine Bindemittel zum Bemalen verwendet haben, was sich bewahrheitet. Zwischen den Notizen im Tagebuch von Kriegsereignissen und der Arbeit für Herberts ist zu lesen:
Unsere Philodendron-Pflanze ist riesenhaft, hat 27 große Blätter.
Baumeister reist Ende Januar 1942 wieder nach Wuppertal zur Endbesprechung über die Eiszeit-Veröffentlichung, die nun Anfänge der Malerei, die Fragen ihrer Maltechniken und das Rätsel ihrer Erhaltung heißt. Baumeister macht einen Vorschlag über eine neue Veröffentlichung Malerei aus der Maltechnik geboren.
28.2.1942
Der "Läufer" [Abbildung links], der vor vielen Jahren entstand, muss auf schärfstes Drängen von H. Rasch gegen meine Meinung mit in die Veröffentlichung über die maltechn[ischen] und Erhaltungsfragen aufgenommen werden, da er dieses Bild sehr schätzt.
Rekonstruktion von Eiszeit-Malereien [Abbildung rechts] des ostspanischen Kulturkreises, versch[iedene] Bindemittel, Blut, Honig u.s.w.
6.8.1942
Verköstigung auf Reisen (in Gasthäusern und Hotels) wird immer mäßiger. Für Suppe muss eine Nährmittelmarke 50g abgegeben werden. Überfüllte Züge, teils steigen die Passagiere durch die Fenster ...
... Nach den immerwährenden Unterbrechungen der künstlerischen Arbeit braucht es erhebliche Konzentration, um wieder am Früheren anzuknüpfen...fehlende Zeit zur Steigerung des Resultats. (Der verhinderte Maler wie seit Zeiten). Dazu der Zeitverbrauch zur Beschaffung der immer seltener werdenden Materialien, Farben u.s.w. ... Nun zwölf Tage ohne Heizung, da keine Kohle mehr im Haus.
Eine Zeichnung Baumeisters im Tagebuch skizziert den brennenden Stuttgarter Hauptbahnhof (22.11.1942)
Wir sind in großer Sorge um unser Haus, da man von schweren Luftangriffen auf Lübeck, im Ruhrgebiet und Köln erfährt. Trotz der schlimmen Lebensumstände sät Baumeister Christrosensamen in die Erde und pflanzt Spireen und große Schlüsselblumen. Das Jahr 1942 geht dahin mit viel Arbeit für Dr. Herberts. Architekt Rasch bringt im September 1942 das fertiggedruckte Exemplar des Buches: "Anfänge der Malerei, ihre Maltechniken und das Rätsel der Erhaltung".
Kurt Herberts, Anfänge der Malerei, 1941
3.11.1942
Kampf im Osten, um Stalingrad an der Wolga ...
Stuttgart wird bombardiert. Der Hauptbahnhof ist durch Brand nicht mehr benutzbar, so ist man gezwungen, von den Vororten abzufahren.
22.12.1942
Schwere Kämpfe im Don Bogen, Stalingrad.
24.12.42
Der heilige Abend stimmungsvoll und mit ernsten Gedanken. Die Kinder sehr fröhlich ... Arbeit an einfachen dunklen Bildern mit einfachen Formen aus plastischer Masse.
31.12.1942
Sylvester Abend. In früheren Zeiten verbrachte man ihn in fröhlicher Gesellschaft. Seit vielen Jahren nun im engsten Kreise, ich meist allein den Glockenschlag des neuen Jahres erwartend. So auch heut Abend. Die Familie zu 4 genoss eine Flasche Wein vom kargen Vorrat, die Kinder dabei lesend, und die neuen Konversations-Lexikons durchsehend, die sehr belehrend sind. Margrit und die Kinder verabschieden sich um 22 Uhr. Nun versammle ich die Bilder, die ich im Jahr gemalt habe im Wohnzimmer. Sie werden an Stühle gelehnt und ich fungierend als Richter über mein Tun des Jahres. 33 Bilder alle auf Karton mit Ausnahme von 2 auf Leinwand.
Im Anfang des Jahres begann der kennwortartig mit "Afrikanischer Stil" bezeichnete Art. Schwarze Figuren oder mit schwarz gemischten Farben gemalte Figuren auf weißem Grund. Einige Kompositionen werden ins Farbige gezogen. Hauptbild: 100x81 vielfiguriges Bild, oben gelber Horizont, sonst weißer Grund. Dann Positiv u. Negativ-Formen-Bilder; Dazwischen einige Kompositionen in stark malerischem Stil. Dann Hyroglyphen-Bilder (sic!) mit Lasurfarb-Ballen fast wie 1941. Gegen Ende des Jahres schwarze plastisch aufgetragene Figuren auf dunklen schwarz-schiefergrauen Gründen, teils wie eiserne Platten aussehend.
Im Ganzen werden wohl 45 Bilder gefertigt worden sein. Viel Zeit ging mit Aufenthalten in Wuppertal verloren. Sehr schlimm steht es um die Produktion, da es fast keine Ölmalfarben mehr gibt. Außerdem verstärkt sich der Wille von Dr. Herberts mich nach Wuppertal zu ziehen. Das schöne Milieu hier aufzugeben ist zunächst undenkbar. Der Krieg wirkt sich immer einschneidender aus. Die kaufbaren Waren werden immer spärlicher. Immer mehr Menschen werden militärisch "erfasst". Es gibt nur noch Rüstungs-Beschäftigte u. Soldaten als Hauptsache. Das tägliche Leben kommt erst an letzter Stelle. Die Angst vor einem Großangriff aus der Luft liegt im Empfinden der Stuttgarter Bevölkerung. Wann wird er erfolgen? Margrit und die Kinder sind gesund, Margrit die tapfer aushält, ist in den Nerven etwas labiler.
1943
29.1.1943
Heroischer Kampf um Stalingrad. Kämpfe gegen Übermacht ...
Ende des Heldenkampfes in Stalingrad ...
5.2.1943
Plötzlich gehen mir täglich viele Haare aus und der Rest wird weiß...Grund vermutlich Ernährung aber auch seelische Ursachen, da man sich Sorgen um die Kriegsverhältnisse macht.
Insbesondere ist Baumeister schwer erschüttert über die Schlacht um Stalingrad.
Wieder etwas Erfreuliches: Unser Freund Dr. Herbert Herrmann berichtet, dass er in Paris Lichtbilder von Bildern und Zeichnungen Baumeisters in einem Projektionsapparat der deutschen Wehrmacht dem Verleger Christian Zervos und Freunden zeigen konnte, die sich sehr positiv über die Arbeiten Baumeisters geäußert hätten.
Schön ist für uns der Besuch eines Nachtfliegers (Nachtjäger), Feldwebel Karl Otto Götz, der in Ludwigsburg stationiert ist und auf Empfehlung von Will Grohmann aus Dresden gekommen ist.
Er ist Maler mit moderner Anschauung. Leider konnte er uns nur wenige Male besuchen, da er versetzt wurde.
7.3.1943
Konfirmation der Tochter Krista. Kirchliche Handlung in der kleinen Holzkirche... Immer wieder sehr eindrucksvoll sind die 10 Gebote und das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis. Großartig in Inhalt und Sprachform. Ich dachte an die Kultformen von Ägypten bis heut. Der christliche Gedanke ist unumstösslich.
Am 9.3.1943 fährt Baumeister nach Wuppertal. Am 11.3.1943 Luftangriff auf Stuttgart.
Am 12.3. berichtet Margarete Baumeister nach Wuppertal von der Detonation einer schweren Bombe auf einer Stützmauer des Nachbars, die wir im Keller überlebt haben. Der Keller ist voller Staub. Am Haus sind starke Zerstörungen. Ein Glück, dass Baumeister noch in Wuppertal ist, da er bei Alarm oft außerhalb des Kellers gewesen ist um zu beobachten. Tochter Krista ist glücklicherweise zur Erholung im Schwarzwald.
27.4.1943
Tod von Oskar Schlemmer. Die erschütternde Nachricht erreichte mich abends in der Wohnung bei Frau Döcker, wo ich eine Zeitlang übernachtete, da unser Haus nicht bewohnbar ist. In der folgenden Nacht großer Luftangriff auf Stuttgart, im Haus Döcker im Keller während die Bomben fielen und das Geschützfeuer dröhnte, gedachte ich noch besonders des verstorbenen Freundes ...
1.5.1943
10 Illustrationen zu Gyges nach Herodot beendet.
5.6.1943
... Nachricht von Heinz Rasch: Schlimmer Fliegerangriff auf Wuppertal ...
Illustrationen zu Gilgamesch abgeschlossen ... Ich beziehe zum Übernachten ein kleines Zimmer im 3. Stock des Hotel Krone [in Urach] ...
8.6.1943
Täglich hat man beim Schlafengehen eine gewisse Furcht, in der Nacht könnte ein Fliegerangriff auf Stuttgart erfolgen ... Meine Honorarüberweisungen von Herberts, Wuppertal, sind seit einem Monat ausgeblieben, da das Postscheckamt Köln zerstört wurde.
Das Dasein und damit das tägliche, praktische Leben wird immer erschwerter. Ich führe jetzt dieses Tagebuch in Urach, da Stuttgart sehr wahrscheinlich ebenfalls so furchtbare Fliegerangriffe zu erwarten hat. Leider habe ich noch zu viele wichtige Dinge, Bücher und neue Bilder und sonstige Objekte, z. B. solche der Kleinplastik-Sammlung in Stuttgart ... Die Schlacht an der ganzen russischen Front hält an. Die Russen sind überlegen an Menschen und Material ...
10.6.1943
Ich habe Notizen über Esther aus Bibel gemacht und diese nach Urach mitgenommen. So ging das Zeichnen der freien Illustration gut vorwärts. Esther hat nun 26 Zeichnungen meist auf getöntem Papier. Ich habe mit großem Vergnügen gezeichnet.
26.6.1943
Das Maltechnikum (Malstoffkunde) der Firma Dr. Kurt Herberts (Wuppertal), in dem sich mein Arbeitszimmer befand... ist nach Telegramm von Rasch...ganz vernichtet worden ... Damit ist der Sitz meines Arbeitsgebiets vernichtet. Im Büro sind einige Bilder und Zeichnungen von mir verbrannt. Ein Glück, dass die Mitarbeiter keinen Körperschaden hatten ... Alle Handzeichnungen und die meisten kleinformatigen Ölbilder nach Urach gebracht. Teile der Südseeplastiken und Masken ...
13.9.1943
Illustrationen zu "Saul" nach dem Bibeltext... Ich vermute, dass eine Weitergefährdung Stuttgarts unmittelbar bevorsteht, deshalb übernachte ich immer in Urach. In Stuttgart täglich Arbeit: praktische Versuche für das projektierte Buch "Modulation und Patina"...
5.10.1943
In Stuttgart: Obersturmführer Stastny-Hein, Nachrichtenleiter aus dem Nachbarhaus (der SS) meldet sich als Liebhaber der noch nicht ganz reparierten, nicht bewohnten Wohnung in der Gerokstraße. Er braucht drei Zimmer.
In Urach sind wir, was das Wohnen anbetrifft, sehr beengt, auch wissen wir nicht wohin mit den Zeichnungen, Bildern, Büchern und Sammlungsobjekten, ganz zu schweigen über gute Möglichkeiten zu arbeiten. Diese Behinderungen belasten Baumeister sehr.
17.10.1943
Margrit mit den Kindern in Stuttgart, berichtet mir beim Zurückkommen nach Urach, dass unsere große Pflanze, Philodendron, von den ausräumenden Soldaten zerstört worden ist, die schlangenartigen Stämme abgebrochen! Ich traure wie um einen Freund. Meine Mutter zog von ihrer ebenfalls großen Pflanze den Ableger im Jahre 1921. Somit war unsere herrliche Pflanze ca. 22 Jahre alt.
20.10.1943
Der Sohn unseres Nachbars Reich ist in Russland gefallen. Ich hatte ihn vor einiger Zeit als er Urlaub hatte kennengelernt. Ein kluger, auch sehr hübscher Mensch. Die Einzelschicksale sind schrecklich.
Am 5. November reist Baumeister nach Wuppertal, in die weitgehend zerstörte Stadt. Man kann nur noch private Unterkunft finden. Baumeister arbeitet in einer Baracke für das Projekt Modulation und Patina und es entstehen sogar noch Zeichnungen sowie drei Bilder, die er Heinz Rasch überlässt.
24.11.1943
Rückkehr nach Stuttgart.
Ich bange um das, was ich gemacht habe und um das, was ich bei meiner knappen Zeit noch weiter produziere.
Baumeister gibt Herbert Herrmann, der auf Urlaub aus Paris gekommen ist, die Zeichnungsfolge Saul mit 44 Originalen mit, damit er diese den befreundeten Kunstinteressenten in Paris zeigen kann. Baumeister hat ziemliche Sorge, ob er die Blätter durch all die Fährnisse zurückbekommen wird. Jedoch hat das Bedürfnis Baumeisters, seine Arbeiten kunstinteressierten Menschen zu zeigen, Vorrang.
1943
Man hofft auf den Frieden, sieht aber zunächst keine Ansatzpunkte dazu. Die seelische Belastung für Stunden unfühlbar zu machen gelingt von Zeit zu Zeit, vergönnt ein nötiges Atem holen. Immer wieder muss verhindert werden, dass die negativen Gedanken sich für immer festsetzen. Das Geschehen des Krieges ist eine Summe von zahllosen, furchtbaren Einzelschicksalen.
Künstlerische Resultate des vergangenen Jahres.
In den ersten zwei Monaten konnte ich ständig noch einige Bilder (mäßig großen Formats auf Pappe) fertigen. Gute Farbklänge, verschiedene malerische Mittel, auch Auftragung. Ende Februar musste ich nach Wuppertal, womit die Malerei bis auf eine Ausnahme abschloss.
Durch die Bombenzerstörungen im Haus und Atelier, Übersiedlung der Familie nach Urach und den damit zusammenhängenden Komplikationen und auch anderen und dann seelischen Beschwerungen wurde die künstlerische Produktion gehemmt. Auch durch die Gedanken, ob überhaupt die gefertigten und zu fertigenden Bilder erhalten bleiben d.h. den Krieg überdauern und in diesem glücklichen Fall, ob sie überhaupt jemals wieder den ihren gebührenden Rang erhalten würden. Das letztere hoffe ich allerdings sicher. Die Konzentration zum künstlerischen Arbeiten ist schwer in diesem Sturzbach der Tatsachen und Gedanken. Einer plötzlichen Idee zufolge begann ich Texte zu illustrieren.
Es entstanden:
Gyges nach Herodet, 10 Blätter
Gilgamesch, 72 Blätter (später einige wenige Ergänzungsblätter hinzugefügt), Esther 33 Blätter
Saul ca. 42 Blätter, "Sturm" von Shakespeare, 44 Blätter (Illustration meist nach den Wortbildern humoristisch)
Die drei Greise von Tolstoi, 4 Blätter und teils größere selbständige Zeichnungen.
In diesem Jahr wurde sehr wenig gemalt, viel gezeichnet (Illustrationen).
1944
4.2.1944
Entscheidungsjahr? Ende?
Es wird im Stuttgarter Atelier mit Casca [Carl Schlemmer] das Manuskript sowie die Musterplatten, die er und ich für "Modulation und Patina" gefertigt haben im Stuttgarter Atelier besprochen.
14.2.1944
Im Restaurant Bubenbad Stuttgart mit Maler Eichhorn ... Das Restaurant gibt eine bescheidene Stimmung. Umgang auf eine Stunde abends. Wille zu etwas, Enttäuschung, aber Menschlichkeitsspuren ...
19.2.1944
Es fällt weiter Schnee ... Ich fahre Freitags oder Samstags nach Urach immer mit Bücher im Koffer, die ich in Urach gesicherter glaube.
21.2.1944
morgens 3 Uhr. Bis jetzt der schwerste Angriff auf Stuttgart.
21.2.1944
von Urach nach Stuttgart
Baumeister führt im Tagebuch die beschädigten, wichtigen Gebäude auf u.a. Neues Schloss, Kunstgebäude, Hindenburgbau, Buchhandlung Weise, Stammgeschäft für Zigarren, Mal- und Zeichengeschäft Martz (Lieferant für Farben und die Zeichenpapiere), ein schwerer Schlag für Baumeister.
Ein unersetzlicher Verlust ist das Naturalien-Museum ... das Fossilien und auch Steinwerkzeuge des Vormenschen enthielt. Die großen Skelette des Elephas-Anticus ... Außerdem war das Gebäude der schönste klassizistische Bau Stuttgarts.
1.3.1944
Gruß von Le Corbusier aus Paris erhalten durch Dr. Herrmann mit Lackfarben bestrichenen Karte ... mit Dedikationsinschrift. Ich freue mich sehr.
26.5.1944
Im Haus unserer Vermieterin Fräulein Wied bekommt Baumeister die Gastklause unter dem Dach zum Arbeiten.
6.6.1944
Landung der Engländer und Amerikaner an der Seine-Mündung.
8.6.1944
Abendlicher Besuch bei Verleger Gutbrod ... Mit Dr. Musper wird sehr viel über Kunst debattiert. Gutbrod erwirbt ein Bild. G. wünscht von mir Geschriebenes zu verlegen.
24.6.1944
In Urach über Sonntag wird öfters geschrieben: Gedanken über Kunst, ältere Manuskript-Anfänge wieder aufgenommen. Empfindung und Reflexion können das Leben auf höhere Ebene schrauben. Selbst wenn der Künstler bewusst arbeitet, lässt er sich überraschen von dem was entsteht.
Die Kunst vermittelt den Begriff der Freiheit.
Grenzen werden aufgebrochen und der Strom des Lebens quillt hervor in neu eröffnete Zonen.
Das Unendliche wird begriffen, die Anteilnahme am Weltall sicherer gemacht (Immer wieder muss dieser Aufbruch erfolgen, weil auch immerfort die retardierenden Kräfte wirken.)
Die Anteilnahme an Kunst, besonders an neuester Kunst, vermittelt die Anteilnahme an "allem", gleich wie eine tiefe Atmung die Verbindung zwischen Körper und Kosmos herstellt ...
Es ist ein typisches Merkmal des 2.klassigen Malers u.s.w., dass er die neuentdeckten Werte als Gebiet aussteckt, einen Stil und seine Grenzen erspäht, ausfüllt, ausnützt, in gewissen Sinn erntet ..., während der Künstler hoher Art eigentlich nicht sieht und Konservieren nicht kennt, sondern in immer währender Bewegung und voll innerer Bewegung ist. Er stößt ins Unbekannte mit jedem Werk und ist in diesem Sinn gar nicht geschaffen gewisse Reflexionen während des Schaffens anzustellen.
Weh dem, der ein Vorbild erreicht.
Das Ziellos-Fortwirkende ist die höchste Potenz alles Seins.
Der Beschauer, der Empfänger wird zu einem Aktivismus geführt, zu eigenen Empfindungsschritten, zum eigenen Denken.
Das Kunstwerk hat Antriebskraft.
20.7.1944
Bomben-Attentat auf den Führer, der sich in Besprechung mit seinen Generälen befand. Die Bombe wurde gelegt von einem Oberst Graf von Stauffenberg. Der Führer leicht verletzt, einige Offiziere schwerer und leichter ... Es handelt sich um eine ganz kleine Verschwörer-Clique. Nach 6 Stunden ist alles niedergeschlagen. Aufregende Stunden.
25.7.1944
Schwerer Angriff auf Stuttgart mit vielen Opfern.
26.7.1944
Unsere Gegend wurde verwüstet. Im Haus nur geringer Schaden ... das Restaurant Bubenbad ein Raub der Flammen ... Stuttgart von oben: Feuer und Qualm. Den ganzen Tag war die Atmosphäre bräunlich, die Sonne brachte eine dunkel-orangene Beleuchtung. Die Flammen verursachten einen Sturm mit Funkenflug, ein künstlicher Sturm. Verzweifelte u. apathische Menschen bei ein paar Möbelstücken, die auf die Straße gerettet wurden. Katastrophe im großem Ausmaß, Familien-Tragödien, dabei die Männer im Krieg abwesend. Die Stiftskirche, Wahrzeichen Stuttgarts, vernichtet ... Man befindet sich in einem seltsamen Zustand durch so viel Vernichtung ringsum ...
2.8.1944
6 Kisten mit Bildern von Urach nach Horn gesandt an Rüggli zum Hirschen.
4.8.1944
von dem oben verfassten Manuskript: "Betrachtung" je ein Exemplar an Verleger Karl Gutbrod ... und an Curt Weller ... gesandt
9.8.1944
Ende der "Verräter" [Anführungszeichen!] durch Volksgerichtshof durch Erhängen...
Das Unbekannte in der Kunst! Der Titel "Betrachtung" bleibt Kapitelüberschrift. Das bisher Unbekannte wird im Kunstwerk "bekannt" gemacht. Der Künstler ist der Erfinder neuer Werte. Je mehr er sich vom Bekannten abhebt, desto wesentlicher seine künstlerische Leistung.
3.9.1944
Baumeister fährt nach Wuppertal. Mit Heinz Rasch an Manuskripten "Modulation und Patina" und "Aus der Maltechnik geboren" gearbeitet. Sehr umständliche, lange und gefährliche Reise mit der Eisenbahn von Wuppertal nach Stuttgart und - so schreibt er im Tagebuch - erfordert viel Nervenkraft.
16.9.1944
Nach Stuttgart, ich kann meine bis jetzt innegehabten Räume nicht mehr betreten. SS Brigadeführer Müller hat meine Möbel rausgeräumt und ist ohne weiteres eingezogen. So muss ich denn das Haus Gerokstraße ... verlassen und mich auf das Quartier in Urach zurückziehen ... Unsere gesamte Wohnung wird demnach von der SS bevölkert werden.
Drei schwere Bomben haben das Gebäude Diemershalde 48, in dem sich das Atelier Baumeister befindet, zersplittert, der Inhalt ist teils zerschlagen.
Wohin mit dem Inhalt, den Staffeleien, Malmappen, Materialien u.s.w.? Also kein Platz mehr, wo ich malen könnte ... Mein Elternhaus Gymnasiumstrasse 53 bis auf den Keller ausgebrannt. Die Jugendereignisse von der Geburt ab mit vielen Erinnerungswerten bis 1926, als ich es wegen der Eheschließung verließ."
Mutter, jetzt in Sebastiansweiler wird die Nachricht schwer treffen. Sie hat annähernde 60 Jahre darin gewohnt ...
19.10.1944
Aufruf zum Volkssturm ...
27.10.1944
Nach Wuppertal mit Front-Soldaten-Zug, Arbeit am Manuskript "Modulation und Patina" zusammen mit Herrn Rasch und Dr. Kurt Herberts. Der Aufenthalt dehnte sich über 5 Wochen aus ... 2mal täglich im Bunker. Mein Schlaf war so leicht, dass das Bewußtsein oft nicht völlig erlöschte ...
Dr. Herberts kann das Verhältnis der Arbeit und Zahlung nicht länger beibehalten, da die Fabrik nur noch weniges an Lack u.s.w. herstellen kann ...
Die Familie in Urach ist in großer Sorge über den Verbleib Baumeisters. Weder durch Post, noch durch Telefon gelingt es ihm, der Familie eine Nachricht zukommen zu lassen, worüber er sehr unglücklich ist. Die Familie kann ebenfalls kein Lebenszeichen geben.
4.12.1944
Heimreise nach Urach dauerte drei Tage.
Am 7.12.1944 dann endlich das Erlebnis des glücklichen Wiedersehens.
9.12.1944
Mutter in Sebastiansweiler besucht. Ihre Kraft vermindert sich weiter. Trotzdem ist sie launig und für Wortspäße. Fliegerschwärme in der Luft ...
23.12.1944
Krista 16 Jahre alt. Bescheidene Geburtstagsfeier.
24.12.1944
Heiliger Abend mit Fräulein Wied. Es war nur ein Adventskranz vorbereitet. Gegen Abend wurde von einem Nachbar noch ein Baum angeboten, sodass wir doch noch einen schönen Christbaum schmücken konnten ...
31.12.1944
Sylvester in den Laboratoriumsräumen des Kaiser-Wilhelm-Instituts (war verlagert nach Urach) auf Einladung von Dr. Nowotny begangen. Schnee und permanente Kälte. Man hat allgemein Furcht vor einem Luftangriff auf Reutlingen.
1945
1.1.1945
Bringt es das Kriegsende? Meldung beim Volkssturm.
Curt Weller bestätigt den Empfang des Manuskriptes. Er schlägt die Veröffentlichung vor.
Ich habe nun Bedenken wegen Modernität ... Es könnte gegen mich vorgegangen werden.
15.1.1945
Luftangriff auf Urach. 30 Häuser beschädigt, Brände, Todesopfer. Man ist nun aus der Sorglosigkeit heraus, dass hier nichts passieren könnte. Baumeister hat neue Zeichnungen hierher gebracht, alle wertvollen Bücher, Sammlungsgegenstände.
Die Sorge um den Erhalt ist nun sehr groß ... auch die persönliche Sicherheit der Familie.
19.1.1945
Der große Angriff der Russen gewinnt Boden.
12.2.1945
Wieder Bomben auf Stuttgart. Haus vorn stark beschädigt. Sämtliche Edeltannen im Vorgarten vernichtet (Ginko steht noch) ...
17.2.1945
Standgerichte eingeführt, gegen solche Personen, die sich weigern bei der Verteidigung mitzumachen.
12.3.1945
Die Spannung über den weiteren Verlauf der Kriegsgeschehnisse ist groß.
14.3.1945
Es besteht das Gerücht von bevorstehender Verwendung von Giftgas. Der Schrecken, in dem man täglich zu leben gezwungen ist, wurde damit weiter gesteigert...
15./16.3.1945
Ich Nachtstreife vom Volksturm. 3stündiger Marsch durch Urach und Umgebung. Dienst von 20 Uhr-6 ...
Baumeister fährt mit Gemüsehändler nach Stuttgart, um danach eine Kiste mit Bildern von 1944 nach Urach zu bringen.
Im Frühjahr und Sommer letzten Jahres hatte ich noch die Möglichkeit mit Öl zu malen. Ob die Bilder in Urach sicherer sind, als im Stuttgarter Untergeschoss?
Die englischen Tiefflieger beschießen neben Eisenbahnenzügen auch einzelne Lastwagen, deshalb wird jede Fahrt lebensgefährlich. In Urach die Kiste ausgepackt. Leider ist in den kleinen, überfüllten Räumen keine Gelegenheit die Bilder in günstiger Position anzusehen. Trotzdem ist es herrlich für mich, Blicke darauf zu werfen ... Zugleich entwickelt sich dabei der heftige Wunsch weiter malen zu wollen. Aber es ist unausführbar, leider. Neben allen Depressionen bleibt immer wieder die Hoffnung auf spätere Zeiten. Immer wieder bin ich ein verhinderter Maler. Aber die Sorge um die Erhaltung des bereits Geschaffenen fällt ebenfalls ins Gewicht: 6 Bilderkisten mit Zeichnungen sind in Horn im Gasthaus zum Hirschen, bei Rüggli die Schweizer Staatsbürger sind untergestellt. Die Illustrationsfolgen und Fotokarthothek sind bei Curt Weller ebenfalls in Horn.
27.3.1945
Amerikanische Armee soll in Baden eingedrungen sein, bei Karlsruhe. Die Gedanken werden von den Geschehnissen beherrscht... Es wäre sehr zu wünschen, dass der aussichtslose Krieg abgebrochen würde.
1.4.1945
Osterfest. Den ganzen Tag Flieger über Urach. Oft im Keller. Gang mit Dr. Nowotny und Frau in die Felsen, um eine Höhle als Schutzasyl für die bevorstehenden Kampf-Tage zu wählen. Wir bestimmen eine Höhle, ich bin jedoch entschlossen, von Urach nach Süden zu gehen, um dort die fraglichen Tage der vorrückenden Front und deren Welle nicht in Urach zu erleben.
3.4.1945
Ortsbefehl von Urach: Frauen und Kinder müssen fort, Männer zum Volkssturm. Urach wird verteidigt. (später erfuhr ich, dass der Volkssturm mich vor ein Standgericht wegen Desertion stellen wollte) Entschluss fort mit der Familie. Es werden 4 Koffer mit dem Nötigsten gepackt. Fe nimmt noch ihren Schulranzen. Die Kinder ziehen 4 Kleider an, ich meinen besten Anzug am Leib, die derben Stiefel. Margrit holt aus dem Banksave (sic) Schmuck ... Abmarsch von uns 4 die Münsinger Steige hinauf.
Unsere Flucht am 3. April 1945 von Urach nach Horn ist abenteuerlich, doch vom Glück begleitet.
Zunächst treten wir den Weg der Münsinger Steige hinauf zu Fuß an. Doch schon nach einiger Zeit kommen wir durch Mitnahme auf Lastwagen weiter. Ein paar Tage sind wir danach bei einer uns bekannten Bauernfamilie bei Ehingen/Donau. Wir betrachten die Landkarte und bemerken, dass der Bodensee erreichbar wäre. Dort ist Curt Weller und die Möglichkeit das Manuskript "Das Unbekannte in der Kunst" zu besprechen. Außerdem sind Max Ackermann und seine Frau dort in ihrem Sommerhaus. Nach einer strapaziösen Reise nach Horn werden wir dort herzlich begrüßt und bekommen Obdach. Max Ackermann stellt Baumeister Malmaterial zur Verfügung. Die letzten Kriegstage in Horn sind noch sehr aufregend mit wechselnden Fronten. Endlich kommen die französischen Truppen ins Dorf und viele Kampfwagen.
8. Mai 1945
Die erste Patrouille kommt ins Haus Ackermann. 6 Mann.
(Ackermann und Baumeister haben sich Baskenmützen aufgesetzt).
Ich begrüße sie in Französisch und lasse einen von mir abgefassten Text lesen über meinen Hinausschmiss in Frankfurt u.s.w ... Darauf bieten sie mir Zigaretten, Stumpen und Tabak an und entschuldigen sich, dass es nur deutsche und algerische Ware sei ... Ich beginne mit Ackermann Gespräche über moderne Malerei ... Ende Mai beginne ich ernsthaft zu malen. Wir hörten nur vage Nachrichten, den unbestimmten Tod Hitlers, Selbstmord von Goebbels und Himmlers. Das Ende der größten Verbrecher aller Zeiten. Siegestag der Alliierten.
Es ist schwierig, aus der französischen "zone interdite" nach Stuttgart zu kommen. Große Anstrengungen sind nötig, um das Laissez Passer zu bekommen. Durch Intervention des Amerikanischen Kulturoffiziers in Stuttgart, Leutnant Koch, erhalten wir die nötigen Papiere. Schließlich kommen wir zuerst mit Pferdewagen, beladen mit sechs Bilderkisten bis Singen, dann mit einem Lastwagen mit Holzvergaser nach Stuttgart.
Unsere Wohnung finden wir verwüstet vor.
Dr. Petermann und Dr. Musper sind beide in Abwesenheit tätig für eine Kandidatur Baumeisters als Akademie-Direktor.
Am 16. März 1946 erhält Baumeister eine Berufung als Professor für Malerei an die Kunstakademie in Stuttgart.