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Foto: schwarz-weiß: Porträt Willi Baumeister

Die Frank­fur­ter Pro­fes­sur
1928 bis 1933

Herz­lich gra­tu­lie­re ich Ihnen zu Frank­furt. Es ist mir per­sön­lich sogar eine beson­de­re Genug­tu­ung, da ich Sie für ande­re Stel­len inten­siv pro­pa­gier­te, aber nie­mals durch­drang … Sehr bedau­re ich, daß wir Sie in Stutt­gart ver­lie­ren. Auch ist das Unter­rich­ten nicht eitel Selig­keit.“

So schrieb Adolf Höl­zel sei­nem ehe­ma­li­gen Schü­ler Wil­li Bau­meis­ter Ende 1927, nach­dem die­ser im Novem­ber den Ruf an die Städ­ti­sche Kunst­ge­wer­be­schu­le (Stä­del­schu­le) in Frankfurt/Main ange­nom­men hat­te.
Vor­aus­ge­gan­gen waren eini­ge bedeu­ten­de Aus­stel­lun­gen wäh­rend der Zwan­zi­ger Jah­re in Paris, Ber­lin, Mann­heim und eini­gen ande­ren Orten und der Ver­zicht auf ein Lehr­amt 1927 in Bres­lau. Freund­schaf­ten zu bedeu­ten­den Avant­gar­dis­ten, wie Le Cor­bu­si­er, Fer­nand Léger oder Amé­dée Ozen­fant waren ent­stan­den. 1929 schlug er sogar ein Ange­bot des Bau­haus in Des­sau aus.

Der wich­tigs­te Grund für sei­ne Anstel­lung in Frank­furt war jedoch Bau­meis­ters Rol­le als einer der her­aus­ra­gen­den Typo­gra­phen jener Zeit. Seit 1919 hat­te er – neben Künst­lern wie Wal­ter Dexel, László Moho­ly-Nagy oder Kurt Schwit­ters – wesent­lich dazu bei­getra­gen, dass die Wer­be­gra­fik eine neue Aus­rich­tung erhielt. Der größ­te Erfolg war dabei sei­ne viel­ge­stal­ti­ge Betei­li­gung an der Stutt­gar­ter Werk­bund-Aus­stel­lung „Die Woh­nung“ im Jahr 1927, von deren Auf­bruch­stim­mung bis heu­te die Wei­ßen­hof­sied­lung Zeug­nis ablegt.

Auf­ga­ben in Frank­furt

Am 1.4.1928 trat Wil­li Bau­meis­ter sei­ne Stel­le an der Städ­ti­schen Kunst­ge­wer­be­schu­le in Frankfurt/Main an. Die auch als Städel’sche Kunst­schu­le bekann­te Ein­rich­tung zähl­te zu den bedeu­tends­ten Reform­schu­len ihrer Zeit und war in kür­zes­ter Zeit zum Zen­trum einer neu­en Form­ge­stal­tung gewor­den. Bau­meis­ter unter­rich­te­te jedoch nicht im Fach Male­rei, das durch Max Beck­mann besetzt war, son­dern wur­de als Lei­ter der Klas­se für das Fach­ge­biet Wer­be­gra­phik und Typo­gra­phie ange­stellt. Im Okto­ber 1928 zum Pro­fes­sor ernannt, über­nahm er 1930 zusätz­lich die Fächer Webe­rei und Foto­gra­phie.

Kunst und Gebrauchs­kunst

In Frank­furt nicht als Maler zum Zuge gekom­men zu sein, emp­fand Bau­meis­ter kei­nes­wegs als Zurück­set­zung. Im Gegen­teil: für ihn besaß die Gebrauchs­gra­fik einen solch hohen Stel­len­wert, dass er in sei­nem Brief­kopf von 1924 sogar dar­auf ver­zich­te­te, die Male­rei zu erwäh­nen. Kunst und All­tag zusam­men­zu­füh­ren, die Tren­nung von ange­wand­ter und frei­er Kunst auf­zu­he­ben, war seit der Jahr­hun­dert­wen­de das erklär­te Ziel vie­ler Maler, Gra­fi­ker und Archi­tek­ten und führ­te unter ande­rem zur Grün­dung des Deut­schen Werk­bun­des (1907) sowie des Bau­haus (1919).
Die­ser Syn­the­se-Gedan­ke war also einer der wesent­li­chen Grund­la­gen und Inhal­te für Bau­meis­ters Unter­richt. Der dama­li­ge Direk­tor der Kunst­ge­wer­be­schu­le, Dr. Fritz Wichert, begrün­de­te die Beru­fung Ende 1927 mit dem Hin­weis, Bau­meis­ter gehö­re

… einer Kunst­rich­tung an, die sich vor allem Klar­heit und strengs­te Gesetz­mä­ßig­keit der Bil­d­er­schei­nung zur Auf­ga­be gestellt hat. Die­se Anschau­ung ent­spricht den Zie­len unse­rer Schu­le auch inso­fern, als sie sich mit den Bestre­bun­gen der neu­zeit­li­chen Bau­kunst auf die bes­te Wei­se in Ein­klang brin­gen läßt.“

Bau­meis­ter als Kunst­po­li­ti­ker im Mit­tel­punkt des Bau­we­sens

Neben Stutt­gart stand Frank­furt im Brenn­punkt des Gesche­hens, wenn es um moder­nen Städ­te­bau in Deutsch­land ging. Seit 1925 war Ernst May (1886–1970) Stadt­bau­meis­ter und initi­ier­te unter ande­rem das groß­an­ge­leg­te Woh­nungs­bau­pro­gramm „Neu­es Frank­furt“, an dem sich vie­le fort­schritt­li­che Archi­tek­ten betei­lig­ten und in des­sen Zusam­men­hang May die zen­tra­le Bedeu­tung aller Küns­te zur Lösung der sozia­len Fra­ge in den Vor­der­grund stell­te. Er und Bau­meis­ter – etwa gleich­alt­rig – arbei­te­ten daher von ver­schie­de­nen Sei­ten aus Hand in Hand an der Ver­wirk­li­chung eines gesell­schaft­li­chen Kon­sens.

Bau­meis­ters Anstel­lung ist folg­lich nicht nur unter künst­le­ri­schem, son­dern auch unter poli­ti­schem Aspekt zu sehen. May und Wichert sahen Bau­meis­ters Rol­le dar­in, eine Gene­ra­ti­on von Gra­fi­kern aus­zu­bil­den, die auf die gesell­schaft­li­chen Phä­no­me­ne des demo­kra­ti­schen Deutsch­lands ein­zu­ge­hen wuss­ten – eine Auf­ga­be, zu der er sich zwei­fel­los beru­fen und der er sich auch gewach­sen sah.

Kon­se­quen­ter­wei­se war Wil­li Bau­meis­ter neben sei­ner Lehr­tä­tig­keit seit 1930 auch für die Gestal­tung der 1928 begrün­de­ten Publi­ka­ti­on „das neue frank­furt“ ver­ant­wort­lich, eines der bedeu­tends­ten Blät­ter für die kul­tu­rel­le Neu­ge­stal­tung des Staa­tes.

Inhal­te der Aus­bil­dung


1929 skiz­zier­te Bau­meis­ter die Inhal­te sei­nes Unter­richts, wobei die Ein­be­zie­hung der Foto­gra­fie als zukunfts­wei­send ange­se­hen wer­den muss:


  • All­ge­mei­ne Aus­bil­dung in der künst­le­ri­schen Flä­chen-Behand­lung. Ele­men­ta­re Kom­po­si­tio­nen mit Schwarz­weiß, Far­be, Linie, Schrift, Figur, Foto. – Akt­zeich­nen. – Ent­wür­fe für das gesam­te Wer­be­ge­biet unter Berück­sich­ti­gung der Ver­viel­fäl­ti­gungs­me­tho­den.
  • Die Buch­bin­de­rei­werk­statt ver­mit­telt die tech­ni­sche Aus­bil­dung in allen Zwei­gen die­ses Hand­werks.
  • Ergän­zungs­un­ter­richt im Wer­be­fach, in Mate­ri­al­kun­de, Farb­leh­re und Kunst­ge­schich­te.
  • Die Anglie­de­rung einer Werk­stät­te für Foto­gra­fie ist geplant.
  • Abend­kur­se für Dru­cke­rei­ge­hil­fen mit Unter­richt in Schrift­satz, Buch­druck, Holz- und Lin­ol­schnitt.


Sieht man ein­mal von sei­nen Aus­füh­run­gen zur Typo­gra­fie ab, sind aus jenen Jah­ren nur noch weni­ge Selbst­zeug­nis­se Bau­meis­ters erhal­ten – im Unter­schied zu sei­ner Lehr­tä­tig­keit nach 1945. Doch auch hier­zu Direk­tor Fritz Wichert: „Pro­fes­sor Bau­meis­ter ver­sucht, sei­ne Schü­ler … zur Anwen­dung all­ge­mei­ner Flä­chen­ge­set­ze zu erzie­hen und durch strengs­te For­de­run­gen hin­sicht­lich der far­bi­gen und figür­li­chen Kom­po­si­ti­on vor der herr­schen­den Ver­wahr­lo­sung zu schüt­zen. … Alles, was in ihr [der Klas­se] geschieht, ist dar­auf gerich­tet, dem Abglei­ten die­ses Gebie­tes der Gestal­tung ins Ordi­nä­re und Kunst­lo­se durch Vor­nehm­heit und Meis­ter­schaft ent­ge­gen­zu­wir­ken.“

Die­se Bewer­tung deck­te sich mit den Ein­schät­zun­gen im größ­ten Teil der Frank­fur­ter Pres­se und Kunst­kri­tik.

Inter­es­sant ist auch, wie die dama­li­gen Stu­den­ten den Unter­richt bei Wil­li Bau­meis­ter erleb­ten. Sei­ne Schü­le­rin Mar­ta Hoepff­ner äußer­te sich dazu nach 1945 in einem Bei­trag über ihr Stu­di­um an der Frank­fur­ter Kunst­schu­le.

… nicht eitel Selig­keit

Bau­meis­ters Klas­se für Wer­be­gra­fik und Typo­gra­fie zähl­te zu den best­be­such­ten der Kunst­schu­le. Zwi­schen 1928 und 1933 hat­te er durch­schnitt­lich 27 Stu­den­ten zu betreu­en. Adolf Höl­zel soll­te daher recht behal­ten – Wil­li Bau­meis­ter schrieb 1932 an Oskar Schlem­mer:

Ich bin belas­tet mor­gens in einem fort mit 25 Schü­lern Kor­rek­tur, auch noch schul­mä­ßi­ge Auf­sicht, über pünkt­li­ches Kom­men, die Nicht­ent­schul­dig­ten ankrei­den, mah­nen, schimp­fen, eine scheuß­li­che Feld­we­be­lei. Dazu die ganz kom­pli­zier­ten Werk­stät­ten, gro­ße Set­ze­rei, Foto, sprit­zen, dru­cken, Diplo­me für die Stadt ent­wer­fen, Druck über­wa­chen, Ver­ant­wort­lich­sein …. An zwei Nach­mit­ta­gen dau­ern­der Unter­richt von Anfän­gern und Mode­klas­se. Es blei­ben die andern Nach­mit­ta­ge, an denen ich zu arbei­ten … oder neben­bei male, wie man sagen kann. Abends zu Hau­se raf­fe ich mich gele­gent­lich auf zu Blei­stift­zeich­nun­gen. Mei­ne Zeich­nun­gen, beson­ders die neu­en, sind das Bes­te, was ich bis­her gemacht habe. … Soll­te die­se Tor­tur ein­mal von mir genom­men wer­den, so ste­he ich wohl­trai­niert da, wie der Läu­fer, der zum Trai­ning mit 10-Pfund-Gewich­ten läuft, um sie eines Tages zum End­spurt abzu­le­gen.“

Dar­über hin­aus kann nicht über­se­hen wer­den, dass Wichert offen­bar zuneh­mend Schwie­rig­kei­ten hat­te, einen abs­trak­ten Künst­ler neben dem gegen­ständ­lich aus­ge­rich­te­ten Nach-Expres­sio­nis­ten Max Beck­mann zu akzep­tie­ren, was Bau­meis­ters Posi­ti­on zusätz­lich beein­träch­tig­te. Des wei­te­ren pole­mi­sier­ten auch Tei­le der Frank­fur­ter Pres­se seit 1929 des öfte­ren gegen Bau­meis­ter.

Ange­sichts der Arbeits­be­las­tung ging die Zahl der Gemäl­de in die­sen Jah­ren etwas zurück, wäh­rend die Zeich­nun­gen zunah­men. Den­noch nahm sich Bau­meis­ter immer wie­der Zeit für neue Bild­ideen, wie auch die Ate­lier­bil­der um 1932 zei­gen. Man weiß aller­dings auch, dass er vie­le Arbei­ten um 1930 im Nach­hin­ein wie­der ver­warf, weil er eini­ge Kom­po­si­tio­nen spä­ter für Fehl­ent­wick­lun­gen hielt.

Das abrup­te Ende 1933

Nach Hit­lers Ernen­nung zum Reichs­kanz­ler am 30. Janu­ar 1933 über­schlu­gen sich nicht nur für Wil­li Bau­meis­ter die Ereig­nis­se. Sie kamen aller­dings kei­nes­wegs über­ra­schend, denn auf dem Kul­tur­sek­tor hat­ten sich seit den 1920er Jah­ren immer wie­der völ­ki­sche Ten­den­zen gezeigt. Am 13. Febru­ar 1933 über­nahm die NSDAP die Macht im Frank­fur­ter Rat­haus, weni­ge Tage spä­ter wur­de im Frank­fur­ter Volks­blatt hef­tig gegen Bau­meis­ter gehetzt, und Ende März schließ­lich wur­de Fritz Wichert beur­laubt.

Am 31. März 1933 folg­te durch den neu­en Direk­tor, Karl B. Bert­hold, schrift­lich, aber ohne nähe­re Begrün­dung die frist­lo­se Kün­di­gung: „Ich tei­le Ihnen mit, dass ich auf Ihre wei­te­re Lehr­tä­tig­keit an der Kunst­ge­wer­be­schu­le ver­zich­te. … [Ich] ersu­che … Sie, sich jeder Amts­hand­lung zu ent­hal­ten und Ihren bis­he­ri­gen Arbeits­raum bis 8. April zu räu­men.“

Wil­li Bau­meis­ter schrieb dar­auf in sein Tage­buch: „Laut schrift­li­cher Mit­tei­lung des neu­en Direk­tors Bert­hold „ver­zich­tet“ die­ser auf mei­ne wei­te­re Lehr­tä­tig­keit. Damit schließt das Kapi­tel „Frank­furt“. … Ich war nie poli­tisch tätig. (Soll ich etwas gegen die Ent­las­sung unter­neh­men? Nein.-) Es geht gegen mei­ne „bol­sche­wis­ti­sche“ Kunst. Sie ist in Geis­tes­frei­heit ent­stan­den. Was soll dar­an bol­sche­wis­tisch sein? Vie­les wird auf „bolsch. u. jüdisch“ cha­rak­te­ri­siert. Was von den Infe­rio­ren nicht als­bald begrif­fen wird, soll nun stran­gu­liert wer­den?“

Am 7. April 1933 fuhr Bau­meis­ter end­gül­tig nach Stutt­gart zurück. Das Schick­sal der Ent­las­sung teil­ten unter ande­rem Paul Klee, Otto Dix, Ewald Mat­a­ré, Karl Hofer, Max Beck­mann und sein Freund Oskar Schlem­mer. Jedoch blieb er in Deutsch­land und fiel kei­nes­wegs in Resi­gna­ti­on. Sei­ne Schaf­fens­kraft blieb eben­so unge­bro­chen wie sei­ne ableh­nen­de Grund­hal­tung gegen­über den neu­en Macht­ha­bern.

Auch wenn sich die Türen für Wil­li Bau­meis­ter in Deutsch­land erst im Som­mer 1945 wie­der öff­ne­ten, soll­ten die­se Jah­re wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs sehr bedeu­ten­de Werk­kom­ple­xe her­vor­brin­gen (sie­he die Werk­pha­sen 1936–1939 und 1940–1945.) Nur weni­ge Mona­te nach Kriegs­en­de setz­te sich die Bio­gra­fie Bau­meis­ters als Leh­ren­der mit einer neu­er­li­chen Pro­fes­sur in Stutt­gart fort.

Als Bei­trag zur Geschich­te der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Stutt­gart erschien 1992 Wolf­gang Ker­mers Buch „Der schöp­fe­ri­sche Win­kel. Wil­li Bau­meis­ters päd­ago­gi­sche Tätig­keit“, wor­in die Jah­re an der Frank­fur­ter Kunst­schu­le aus­führ­lich dar­ge­stellt sind (sie­he Tex­te über Wil­li Bau­meis­ter ).