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Willi Baumeister vor Wand mit Bildern aus der eigenen Sammlung

Bau­meis­ter als Samm­ler

Wil­li Bau­meis­ters Samm­lung alter und außer­eu­ro­päi­scher Kul­tu­ren umfasst rund 250 Objek­te. Erstaun­lich ist dabei die Brei­te der Kol­lek­ti­on hin­sicht­lich der Kul­tur­krei­se und Zeit­räu­me, aber auch mit Blick auf die funk­tio­na­le wie hand­werk­li­che Viel­falt der Figu­ren, Mas­ken und ande­ren Artefakte.Die ver­schie­de­nen Tei­le der Samm­lung waren eine Inspi­ra­ti­ons­quel­le für ihn, aus der er für sei­ne Kunst schöpf­te. Er beton­te, dass eine beson­de­re Rol­le den alten Mythen ganz Vor­der­asi­ens zukommt, in denen „Urkräf­te des Lebens“ zum Aus­druck kom­men, die der Mensch der Gegen­wart auf­neh­men kann.

Vor der Zer­stö­rung geret­tet

Bau­meis­ter begann die Samm­lung Ende der 1920er Jah­re und ver­voll­stän­dig­te sie zwi­schen 1940 und 1943. Glück­li­cher­wei­se ist die­ses ein­ma­li­ge Zeug­nis der Samm­lung eines Künst­lers über die Kriegs­zeit erhal­ten geblie­ben, denn Bau­meis­ter brach­te die Objek­te nach und nach in Kof­fern von Stutt­gart nach Urach, wohin er aus dem zer­bomb­ten Stutt­gart 1943 floh. In Stutt­gart hat­te er außer­dem zuerst im halb zer­stör­ten Haus Wand an Wand mit Ange­hö­ri­gen der SS hau­sen müs­sen, die einen Teil der Woh­nung beschlag­nahmt hat­ten.

Afri­ka Samm­lung

Der Beginn des gro­ßen Inter­es­ses Bau­meis­ters an außer­eu­ro­päi­scher Kunst ist nicht genau fest­zu­stel­len. Auf jeden Fall ist denk­bar, dass er ab 1924, als er die fran­zö­si­schen Künst­ler­kol­le­gen Le Cor­bu­si­er, Amé­dée Ozen­fant und Fer­nand Léger in Paris ken­nen­lern­te, mit afri­ka­ni­scher Kunst in Berüh­rung gekom­men ist. Beson­ders in den fran­zö­si­schen Kunst­zeit­schrif­ten Cahier d´Art und Docu­ments gab es Abbil­dun­gen Afri­ka­ni­scher Kunst. Eine Sen­u­fo-Mas­ke von der Elfen­bein­küs­te ent­deck­te Mar­ga­re­te Bau­meis­ter, die Ehe­frau des Künst­lers, im Unter­ge­schoss der Gale­rie d’Art Con­tem­po­rain. In die­ser Gale­rie hat­te Bau­meis­ter im Jahr 1927 sei­ne ers­te Ein­zel­aus­stel­lung in Paris.

Ab die­sem Zeit­punkt erwarb er afri­ka­ni­sche Skulp­tu­ren, Mas­ken, Gebrauchs­ge­gen­stän­de, Scha­len aus Holz und Geflecht aus unter­schied­li­chen afri­ka­ni­schen Kul­tu­ren. Bei den Skulp­tu­ren konn­te man noch die Wachs­tums­form, den Baum­stamm wahr­neh­men, was Bau­meis­ter inter­es­sier­te.

Die Far­big­keit der Karya­ti­den-Figur mit Gefäß auf dem Kopf, kommt den Gemäl­den Bau­meis­ters nahe, die der Künst­ler als im afri­ka­ni­schen Stil bezeich­ne­te. Am 16. Juni 1943 schrieb Bau­meis­ter an Die­ter Kel­ler: „Ich male jetzt schwarz auf fast purem wei­ßen Grund […] mit rau­hem, aus­ge­frans­ten Strich […].“ Bereits das Gemäl­de „Trom­mel­schlag“ von 1942 zeigt die­se Mal­wei­se. Sein Inter­es­se galt auch der Bema­lung einer mit Anti­lo­pen­haut über­zo­ge­nen Holz­schach­tel aus Kame­run mit tra­di­tio­nel­len, geo­me­trisch-sti­li­sier­ten Moti­ven, in der die zur Kör­per­be­ma­lung ange­wand­te Rot­holz­pas­te auf­be­wahrt wur­de.

Stein­zeit Samm­lung

Bau­meis­ter hat­te auch an früh­an­ti­ken Klein­skulp­tu­ren aus dem Mit­tel­meer und an ägyp­ti­schen Usc­he­b­tis beson­de­res Inter­es­se. Es fol­gen in sei­ner Samm­lung Fos­si­li­en, vor­zeit­li­che Gefä­ße, Stein­bei­le. In der Zeit, als Bau­meis­ter als Pro­fes­sor an der Städ­ti­schen Kunst­ge­wer­be­schu­le (Stä­del­schu­le) in Frank­furt lehr­te, nahm er die Mög­lich­keit wahr, Vor­trä­ge des Schwei­zer Kul­tur­his­to­ri­kers Hans Müh­le­stein zu besu­chen. Die­ser hielt Semi­na­re zur Ur- und Vor­ge­schich­te der Mensch­heit und war wie­der­um ein Ver­eh­rer der Kunst Wil­li Bau­meis­ters. In die­ser Zeit begann Bau­meis­ter ver­mehrt, Stein­ge­rä­te aus dem Mit­tel- bis Jung­pa­läo­li­thi­kum (etwa 1.500 bis 7.000 Jah­re alt) ver­schie­de­ner Her­kunft zu sam­meln.

Er pati­nier­te eine Rei­he von Abgüs­sen in Stein- und Erd­tö­nen, wie etwa Mam­mut­gra­vu­ren und die klei­nen Skulp­tu­ren aus dem Vogel­herd, die zu den ältes­ten Fun­den prä­his­to­ri­scher Kunst­wer­ke zäh­len. Nach Auf­fas­sung Bau­meis­ters waren die Ursprün­ge der Kunst schon in der frü­hen Stein­zeit zu fin­den. Er erforsch­te die Mal­tech­ni­ken der stein­zeit­li­chen Fels- und Höh­len­ma­ler und fand her­aus, dass die Male­rei­en kei­ne Bin­de­mit­tel nötig hat­ten. Die Orna­men­tik sowie die Ritz- und Lini­en­fi­gu­ren der nach­fol­gen­den Kul­tu­ren inter­es­sier­ten den Maler. Er ließ sich teil­wei­se von ihnen in sei­nen eige­nen Wer­ken inspi­rie­ren, wie etwa in der „Strei­fen­kom­po­si­ti­on auf Lila“ oder bei “ Figür­li­ches Ideo­gramm“, bei­de von 1945.

Ange­regt durch den Eth­no­lo­gen Leo Fro­be­ni­us in Frank­furt, Begrün­der des Afri­ka-Archivs, das sich haupt­säch­lich das Sam­meln eth­no­lo­gi­scher und archäo­lo­gi­scher Objek­te zur Auf­ga­be mach­te, sam­mel­te Bau­meis­ter auch in die­sem Sin­ne. Durch das Betrach­ten von Abbil­dun­gen in Büchern der vor­zeit­li­chen Fels­bil­der, z.B. der Vall­tor­ta-Schlucht in Ost­spa­ni­en, wur­de Bau­meis­ters Kunst inspi­riert. Auch die Fels­bil­der aus Fez­zan in Lybi­en, die Fro­be­ni­us 1932 auf­ge­nom­men hat­te, wirk­ten auf sei­ne Kunst ein. Am 2. August 1934 schrieb Bau­meis­ter in sein Tage­buch:

Ich will die gut abge­wo­ge­ne Kom­po­si­ti­on der Maschi­nen- und Mau­er­bil­der immer mehr ver­las­sen zuguns­ten eines direk­ten Aus­drucks durch die Hie­ro­gly­phen (Mensch) im Sin­ne des Läu­fers, das Zei­chen. Mei­ne Sym­pa­thie für Stein­werk­zeu­ge und auch für Natur­nach­bil­dun­gen orga­ni­scher oder anor­ga­ni­scher Art, eben­so mei­ne Nei­gung zu Keil­schrift­zei­chen und Hie­ro­gly­phen lie­gen wohl nahe den Ideo­gram­men[…].“

Eine Ver­bin­dung zu den „Ideo­gram­men“, „Flie­gen­den“ und „Schwe­ben­den For­men“ besteht bei den glatt-bear­bei­te­ten Faust­kei­len.

Die­se For­men schwe­ben, ohne sich zu berüh­ren, aber doch stark auf­ein­an­der bezo­gen in der Flä­che. Ich hat­te sie ursprüng­lich völ­lig abs­trakt gemeint, habe aber im wei­te­ren Ver­lauf Figu­ren hin­ein­ge­se­hen, natür­lich fron­ta­le.“

Meso­po­ta­mi­en und Vor­de­rer Ori­ent Samm­lung

Dem alten Ori­ent war Bau­meis­ter beson­ders ver­bun­den. Die Stü­cke sei­ner Samm­lung bedeu­te­ten ihm sehr viel und vor allem in den Drei­ßi­ger Jah­ren war sein Inter­es­se an die­sem Kul­tur­kreis äußerst groß, als er begeis­tert die Erfah­rungs­be­rich­te des Archäo­lo­gen Leo­nard Wool­ley las, wie etwa „Ur und die Sint­flut“ und „Vor 5000 Jah­ren“. Auch das „Harfen“-Motiv in eini­gen sei­ner Wer­ke um 1945 ist den „Lei­ern aus Ur“ ent­lehnt.

Die ein­ge­schnit­te­nen figür­li­chen Dar­stel­lun­gen auf den Roll- und Stem­pel­sie­geln sowie die gleich­mä­ßig struk­tu­rier­ten Flä­chen der klei­nen altas­sy­ri­schen Keil­schrift­ta­feln aus Ton in sei­ner Samm­lung inspi­rier­ten Bau­meis­ter zu Gemäl­den wie „Struk­tu­rell“ von 1942 oder „Erin­ne­rungs­rest“ von 1944.

Ägyp­ten und Grie­chen­land Samm­lung

Bau­meis­ter lieb­te auch die Kunst der alten Ägyp­ter. Er rech­ne­te die­se Kunst zur – wie er es aus­drück­te – „unmit­tel­ba­ren Male­rei“, die aus ele­men­ta­ren For­men als „Ele­men­ten des Aus­drucks“ auf­ge­baut sei. Es fin­den sich eini­ge Usc­he­b­tis aus Holz in sei­ner Samm­lung sowie zwei bron­ze­ne Osi­ris-Figu­ren.

Wil­li Bau­meis­ters Inter­es­se rich­te­te sich auch auf eine klei­ne Mumi­en-Kar­to­na­ge, an der ihn beson­ders die typisch unper­spek­ti­vi­sche Dar­stel­lungs­wei­se fes­sel­te: „der Kopf im Pro­fil, das Auge von vorn, die Schul­tern von vorn, Gür­tel und Gesäß von der Sei­te…“ (Bau­meis­ter, 1947)

Ab 1940 sam­mel­te Bau­meis­ter Ter­ra­kot­ta-Sta­tu­et­ten aus der ägäi­schen Kul­tur, aus Myke­ne und Böo­ti­en. Die grie­chi­sche Anti­ke ist mit meh­re­ren früh­ar­chai­schen Klein­kunst­wer­ken in der Samm­lung ver­tre­ten. Gro­ßes Inter­es­se zeig­te Bau­meis­ter an den Kykla­di­schen Ido­len, von denen er Gips­ab­güs­se erwarb und in abge­tön­ten Erd-Far­ben pati­nier­te. 1940 schrieb Bau­meis­ter an Heinz Rasch, die „Plas­ti­ken der grie­chi­schen Insel­kunst“ sei­en für ihn der „wahr­schein­lich stärks­te Anreiz zum eige­nen Tun und Schaf­fen“.

Ost­asi­en Samm­lung

Die Weis­heit des Ostens, die fern­öst­li­che Phi­lo­so­phie sowie die Kunst Ost­asi­ens spra­chen den Künst­ler beson­ders an. Sei­ne Samm­lung ent­hält 46 Objek­te asia­ti­scher Her­kunft, dar­un­ter auch eine klei­ne Kol­lek­ti­on chi­ne­si­scher und japa­ni­scher Holz­schnit­te. Das wich­tigs­te Objekt dar­un­ter war für ihn das Roll­bild in Tusche auf Papier aus dem 19. Jahr­hun­dert mit dem Schrift­zei­chen „shou“ (für Lan­ges Leben), das er 1941 von Dr. Kurt Her­berts als Geschenk erhal­ten hat­te.

Bau­meis­ter begann in der Kriegs­zeit auch, sich mit dem Zen-Bud­dhis­mus zu beschäf­ti­gen, was sei­nen Begriff des Unbe­kann­ten sehr beein­fluss­te. Die Durch­rei­bun­gen von Grab­plat­ten der Han-Zeit (206 vor Chr. bis 220 nach Chr.) fas­zi­nier­ten ihn so sehr, dass er eini­ge in sei­nem Todes­jahr 1955 ent­stan­de­nen Bil­der auch „Han‑i“ aus Sym­pa­thie zur Han-Epo­che nann­te.

Alt-Ame­ri­ka Samm­lung

Bau­meis­ter besaß eini­ge Kunst­wer­ke Alt­ame­ri­kas aus der prä­ko­lum­bi­schen Zeit, aus Mit­tel­ame­ri­ka sowie aus alt­pe­rua­ni­schen Kul­tu­ren. Vie­le Objek­te stam­men aus einer Pha­se, die dem Inka­reich noch vor­aus­ging. Selbst in der Mimik man­cher Figu­ren ist die Zei­chen­haf­tig­keit so aus­ge­prägt, dass man Bau­meis­ters Inter­es­se an die­ser Kul­tur nach­voll­zie­hen kann. Außer­dem sam­mel­te er alt­pe­rua­ni­sches Gewe­be.

Die Stein­bild­kunst frü­her Hoch­kul­tu­ren fand Ein­gang in zahl­rei­chen Gemäl­den, wie zum Bei­spiel der „Maya-Mau­er“ von 1946 mit ihren inein­an­der grei­fen­den Figu­ren. Zu einem Figu­ren­paar gibt es sogar eine direk­te Ent­spre­chung in dem Bild „Azte­ken-Paar“ von 1948. Wil­li Bau­meis­ter über­setz­te gewis­ser­ma­ßen die Aus­drucks­wei­se der azte­ki­schen Kul­tur in sei­ne eige­ne – male­ri­sche – Spra­che.

Ozea­ni­en Samm­lung

Ein Schwer­punkt der Samm­lung ist der Bestand an ozea­ni­schen Gegen­stän­den, die aus dem Sepik-Gebiet Neu­gui­ne­as stam­men. Hier­zu zäh­len unter ande­rem ein schwe­rer Kampf­schild von 1,4 Meter Höhe und ein nur wenig klei­ne­rer Zeremonial-(Tanz)schild. Die außer­or­dent­lich expres­si­ve orna­men­ta­le wie figür­li­che For­men­welt ver­weist auf die Welt der Geis­ter und des Kos­mos – ein The­men­feld, das Bau­meis­ter nicht nur in den 1940er Jah­ren, son­dern über vie­le Jahr­zehn­te hin­weg bei der Beschäf­ti­gung mit dem „Unbe­kann­ten in der Kunst“ stets gefan­gen nahm.

Wil­li Bau­meis­ter inter­es­sier­te aber auch die Far­big­keit, die meis­tens erd­far­ben, aus natür­li­chem Pig­ment ange­mischt wur­de. Blau und Grün kommt in die­sen Objek­ten daher nur sel­ten vor. Die 1,75 Meter brei­te poly­ne­si­sche Tapa aus Rin­den­bast­stoff oder die Mal­ang­gan-Kopf­plas­tik aus Papua-Neu­gui­nea, die für Zere­mo­nien ver­wen­det wur­de, waren für ihn her­vor­ra­gen­de Bei­spie­le für eine unbe­fan­ge­ne, zivi­li­sa­ti­ons­fer­ne Kunst in einem Kul­tur­kreis, in dem Leben und künst­le­ri­sche Pro­zes­se eine Ein­heit bil­de­ten. Die­ses Ziel in der moder­nen Kunst Euro­pas zu errei­chen, war auch ein fort­wäh­ren­des Bestre­ben Wil­li Bau­meis­ters.