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Farbiges Plakat zur Ausstellung "wie wohnen?"

Typo­gra­phie / Wer­be­ge­stal­tung

Wil­li Bau­meis­ter mach­te schon früh als Schrift- und Rekla­me­ge­stal­ter von sich reden. In den 1920er und frü­hen 1930er Jah­ren trug er durch sei­ne prak­ti­schen Arbei­ten, aber auch durch theo­re­ti­sche Schrif­ten viel zur Ent­wick­lung von Typo­gra­fie und Wer­be­gra­fik in Deutsch­land und Euro­pa bei. Drei­ein­halb Jahr­zehn­te durch­zieht dies wie ein roter Faden sein Werk. Den­noch blie­ben die­se Betä­ti­gungs­fel­der bis weit nach sei­nem Tod unter­schätzt und unbe­ach­tet.

Gleich nach sei­ner Rück­kehr aus dem Ers­ten Welt­krieg mach­te er sich nicht nur als Maler, son­dern auch als Typo­graf, dane­ben als Büh­nen­aus­stat­ter für Stutt­gar­ter Thea­ter, als Wand­bild­ner, als Tex­til- und Raum­ge­stal­ter, sogar als Farb­ge­stal­ter von Tanz­ca­fés und Häu­ser­fron­ten einen Namen. 1948 schrieb er an sei­nen Freund und Bio­gra­fen Edu­ar­do Wes­ter­dahl: „ich hat­te immer zwei tätig­kei­ten, 1. typo­gra­fie, pla­ka­te, büh­nen­bil­der, tex­til-ent­wür­fe usw., 2. freie kunst, damit konn­te ich ohne kom­pro­mis­se und kon­zes­si­on kon­se­quent moder­ne kunst machen.„

Bau­meis­ter leg­te Wert dar­auf, Gebrauchs­kunst und die hohen Küns­te nicht gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len. Auch sei­nen Schü­lern gegen­über wirk­te er bis zuletzt dar­auf hin, das alte Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen frei­er und ange­wand­ter Kunst auf­zu­he­ben. Für ihn besaß Typo­gra­fie stets auch male­ri­sche Ele­men­te. Beson­ders in den frü­hen Jah­ren, aber auch wie­der nach 1945, ließ er immer wie­der die male­ri­sche Freu­de anklin­gen und war – auch wenn er Gro­tesk-Schrif­ten bevor­zug­te – kei­nes­wegs auf einen Schrift­typ fest­ge­legt.

Expe­ri­men­tel­le Anfän­ge

Das Pla­kat von 1919 zur Aus­stel­lung der Stutt­gar­ter „Üecht-Grup­pe“ ver­an­schau­licht den radi­ka­len Bruch mit einer alt­her­ge­brach­ten Schrift- und Wer­be-Kul­tur: Text und Bild durch­drin­gen sich, als ob Bau­meis­ter mit die­sen Mit­teln den Auf­bruch in eine neue Zeit ein­läu­ten woll­te. Hier steht er in einer Rei­he mit vie­len Gra­fi­kern, wie Wal­ter Dexel, Johan­nes Mol­zahn oder Kurt Schwit­ters.

Die­se frü­hen Arbei­ten bis etwa 1924 wir­ken durch­aus noch expe­ri­men­tell. Auch die Ent­wür­fe für das „Deut­sche Thea­ter“ und die „Sturm“-Ausstellung sind hier zu nen­nen. Ein­zel­ne Buch­sta­ben wer­den zu bild­haf­ten Ele­men­ten. Auf dem Pla­kat für das „Stutt­gar­ter Neue Tag­blatt“ um 1925 ord­nen sich Flä­chen figu­ra­tiv ähn­lich sei­ner kon­struk­ti­vis­ti­schen Tafel­ma­le­rei jener Jah­re. Spä­ter sind kaum noch Par­al­le­len zwi­schen den gebrauchs­gra­fi­schen Ent­wür­fen und sei­ner Male­rei zu erken­nen.

Dem All­tag Form geben – Ver­sach­li­chung und Wei­ßen­hof-Aus­stel­lung 1927

Mit­te der 1920er Jah­re voll­zog Bau­meis­ter jedoch rasch die Umstel­lung von einer indi­vi­dua­lis­ti­schen Lini­en­füh­rung zur Ver­sach­li­chung – zu einer funk­tio­na­len Typo­gra­fie, die unter ande­rem in sei­ner Teil­nah­me an der Stutt­gar­ter Werk­bund-Aus­stel­lung „Die Woh­nung“ von 1927 mit der berühm­ten Weis­sen­hof­sied­lung mün­de­te. Die viel­ge­stal­ti­gen Druck­sa­chen, die er hier­für ent­warf, demons­trie­ren das schrift- und rekla­me­ge­stal­te­ri­sche Ver­mö­gen und den hohen Anspruch Bau­meis­ters, den er in jener Zeit auch mit man­chen Äuße­run­gen und Publi­ka­tio­nen unter­mau­er­te. Ab etwa die­ser Zeit trat er auch mit zahl­rei­chen Bei­trä­gen und Vor­trä­gen her­vor, um die Neu­be­grün­dung ästhe­ti­scher Nor­men zu pro­pa­gie­ren.

Ana­log zu den Zie­len nicht nur des Werk­bunds, son­dern auch des Bau­haus ent­wi­ckel­te sich Wil­li Bau­meis­ter zu einem der Haupt­prot­ago­nis­ten einer Typo­gra­fie der „Neu­en Sach­lich­keit“. Da die Zusam­men­füh­rung von Kunst (genau­er Design) und All­tag einer der Haupt­aspek­te der Wei­ßen­hof-Aus­stel­lung war, stel­len auch Bau­meis­ters Ent­wür­fe – Brief­bö­gen und Aus­schrei­bungs-For­mu­la­re, Kle­be­mar­ken, Umschlä­ge, Inse­ra­te und Pro­spek­te – einen Höhe­punkt in der Ent­wick­lung zweck­ge­bun­de­ner Gra­fik dar. Die Aus­stel­lungs­stän­de, die er für ein­zel­ne Fir­men gestal­te­te, sind mus­ter­gül­ti­ge Zeug­nis­se einer neu­en Typo­gra­fie, denn die pla­ka­ti­ve Beschrif­tung war das wich­tigs­te Ele­ment ihrer Ord­nung und Wir­kung. Noch nie zuvor hat­te Bau­meis­ter sich im Ent­wurf von Gebrauchs­gra­fik so bewäh­ren kön­nen wie für die­se Aus­stel­lung.

Funk­tio­na­li­tät und Pro­zess­haf­tig­keit

Sehr früh hat Bau­meis­ter auch das Ele­ment des Pro­zess­haf­ten, des zeit­li­chen Ablaufs, der beim Lesen ent­steht, in sei­ne Ent­wür­fe ein­be­zo­gen:

Die her­ge­brach­te Ord­nung ist die sym­me­tri­sche. Die sym­me­tri­sche Anord­nung einer Druck­sei­te […] ist nichts ande­res als das Deko­rie­ren einer Fas­sa­de. Die Kräf­te­ver­tei­lung die­ser Anord­nung ver­teilt Kräf­te und Span­nun­gen nach bei­den Sei­ten. […] Ein Anfang und Ein­stieg für das Auge ist bei die­sem Sys­tem nicht vor­han­den. […] Die­se Anord­nung kommt dem Able­sen in kei­ner Wei­se ent­ge­gen. [..]. Das Ein­füh­ren des Auges in das abso­lut flä­chen­haf­te Sys­tem der Druck­sei­te kann nur durch Ver­la­ge­rung des Schwer­punk­tes erfol­gen, und zwar nach dem Anfang zu. […] Also links oben. Die reich­ver­zier­ten Initia­len der alten Hand­schrif­ten waren funk­tio­nell und des­halb rich­tig.“

Wil­li Bau­meis­ter

Pro­fes­sur in Frank­furt 1928

1927 gehör­te Bau­meis­ter zu den Mit­be­grün­dern des avant­gar­dis­ti­schen „ring neue wer­be­ge­stal­ter“ (unter ande­rem mit Kurt Schwit­ters sowie Làsz­lo Moho­ly-Nagy), der eini­ge ele­men­ta­re Gestal­tungs­prin­zi­pi­en pro­pa­gier­te. Vor allem aber resul­tier­te aus sei­nem Stutt­gar­ter Erfolg der Ruf auf eine Pro­fes­sur an die Städ­ti­sche Kunst­ge­wer­be­schu­le (Stä­del­schu­le) in Frank­furt am Main zum Som­mer­se­mes­ter 1928. Im Unter­schied zu spä­te­rer Lehr­tä­tig­keit wirk­te Bau­meis­ter hier aber nicht als Maler, son­dern unter­rich­te­te im Fach­ge­biet „Gebrauchs­gra­fik, Typo­gra­fie und Stoff­druck“.

Die­se Zeit brach­te vie­le neue Auf­ga­ben und Ver­pflich­tun­gen mit sich, so dass für eige­ne gra­fi­sche Arbei­ten weni­ger Raum blieb. Zu den wich­tigs­ten Arbei­ten jener Jah­re gehö­ren Titel und Schrift­bild der von Ernst May begrün­de­ten und 1933 ver­bo­te­nen Zeit­schrift „Das Neue Frank­furt“ – spä­ter „die neue stadt“. Hier ist in der kon­tras­tie­ren­den, teil­wei­se col­la­gier­ten Zusam­men­stel­lung von Foto­gra­fien, Schrift und Farb­flä­chen die Hand­schrift Bau­meis­ters deut­lich erkenn­bar.

Sei­ne Rol­le als Leh­rer wird kla­rer, wenn man sich vor Augen führt, dass Bau­meis­ter moder­ne Typo­gra­fie nicht als etwas Sub­jek­ti­ves, son­dern in ers­ter Linie als etwas Nor­ma­ti­ves ansah. 1926 hat­te er den Auf­satz „Neue Typo­gra­phie“ in der Zeit­schrift „Die Form“ ver­öf­fent­licht. Dort nann­te er Fer­nand Léger und Le Cor­bu­si­er als Wahl­ver­wand­te und stell­te fest: „Typo­gra­phie beruht vor allem in der Auf­tei­lung einer begrenz­ten Flä­che. Der Typo­graph steht […] vor der­sel­ben Auf­ga­be wie der Maler. Die Grund­sät­ze der Flä­chen­auf­tei­lung sind ver­schie­den. Die Druck­sei­te ent­hält Bild­haf­tes und Mit­tei­lun­gen. Beim Pla­kat über­wiegt das Bild­haf­te. Bei der Typo­gra­phie ist die Mit­tei­lung bild­haft zu gestal­ten […]“.

Doch das Amt litt zuneh­mend unter den poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen und man­chen Angrif­fen der Frank­fur­ter Pres­se. Mit Beginn der NS-Zeit teil­te man Wil­li Bau­meis­ter am 31.3.1933 ohne Begrün­dung mit, dass auf sei­ne Lehr­tä­tig­keit künf­tig ver­zich­tet wer­de.

Bau­meis­ter galt zwar nun als „ent­ar­tet“, war aber zunächst nicht mit Berufs­ver­bot belegt. Daher ende­te mit der Ent­las­sung nicht sei­ne Tätig­keit als Gebrauchs­gra­fi­ker. Bis 1936 rea­li­sier­te er zahl­rei­che Auf­trä­ge, die zei­gen, dass er zu kei­nen Kom­pro­mis­sen bereit war.

Wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen fin­den Sie unter Bau­meis­ter als Leh­rer.

Die Wup­per­ta­ler Jah­re 1939–1944

In den von Zwei­feln und wirt­schaft­li­cher Unsi­cher­heit bestimm­ten Kriegs­jah­ren zwi­schen 1939 und 1944 war Bau­meis­ter – wie übri­gens auch Oskar Schlem­mer – im „Mal­tech­ni­kum Dr. Kurt Her­berts“ in Wup­per­tal mit dem Stu­di­um, der Erfor­schung und Erpro­bung von Mal­tech­ni­ken beschäf­tigt. Her­berts Lack­fa­brik war vor allem aber die Camou­fla­ge für man­che Künst­ler, wei­ter­hin ohne kri­ti­sche Obser­vanz malen zu kön­nen.

Bau­meis­ters Tätig­keit bestand zu gro­ßen Tei­len dar­in, Publi­ka­tio­nen unter Her­berts Autoren­schaft gra­fisch und redak­tio­nell zu gestal­ten und mit Bil­dern zu ver­se­hen, von denen eini­ge – wenn­gleich anonym – von Bau­meis­ter selbst stamm­ten. Beson­ders zwei Schrif­ten wur­den wesent­lich von ihm mit­ge­prägt: „Modu­la­ti­on und Pati­na“ von 1944, auf deren Titel ein pas­to­ser Auf­trag von Spach­tel­mas­se wie­der­ge­ge­ben ist, sowie „Aus der Mal­tech­nik gebo­ren“ von 1943/44, wor­auf ein Teil eines chi­ne­si­schen Roll­bil­des zu erken­nen ist.

Die ange­wand­ten Küns­te nach 1945

Der Typo­gra­fie blieb Bau­meis­ter auch nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs treu – trotz sei­ner stei­gen­den Repu­ta­ti­on als Maler von inter­na­tio­na­lem Rang und trotz sei­ner Ver­pflich­tun­gen als Hoch­schul­leh­rer.

Regel­mä­ßig gestal­te­te er Aus­stel­lungs­pla­ka­te und Buch­um­schlä­ge, dane­ben eini­ge Druck­sa­chen. Außer­dem rich­te­te er sei­ne Auf­merk­sam­keit auf das Büh­nen­bild. Ent­wür­fe für Schau­fens­ter, Mes­se­stän­de, Brief­köp­fe oder Anzei­gen, die ihn in den 1920er Jah­ren berühmt gemacht hat­ten, fer­tig­te er zwar nicht mehr an, doch in die­ser Ganz­heit­lich­keit, die nicht zwi­schen den Küns­ten gewich­te­te, blieb er nach wie vor dem Bau­haus­ge­dan­ken ver­pflich­tet. Deut­lich ist zu erken­nen, dass die Typo­gra­fie Bau­meis­ters nach 1945 wie­der spie­le­ri­scher oder frei­er wur­de. Auf den Aus­stel­lungs­pla­ka­ten und Buch­ti­teln domi­niert das (gemal­te oder gezeich­ne­te) Bild und im Unter­schied zu den Arbei­ten von 1919 ent­wi­ckeln die Buch­sta­ben kein Eigen­le­ben. Und wie ver­ständ­lich nach den schwie­ri­gen Jah­ren: In die­ser Frei­heit der Gestal­tung sind zweck­ge­bun­de­ne Gra­fik und Male­rei Wil­li Bau­meis­ters sich wie­der sehr nahe gekom­men!

Bau­meis­ters 35-jäh­ri­ges Wir­ken im Bereich der Gebrauchs­gra­fik hält den Ver­gleich mit der Male­rei durch­aus stand. Der Künst­ler war nicht nur als Maler und Weg­be­rei­ter für nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen. Auch in den ange­wand­ten Küns­ten sowie im Umgang mit Schrift, Wort und Zei­chen hat er das 20. Jahr­hun­dert im wahrs­ten Sin­ne mit­ge­stal­tet.

Anläss­lich einer Aus­stel­lung zum 100. Geburts­tag in der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Stutt­gart im Herbst 1989 erschien der Kata­log „Typo­gra­phie und Rekla­me­ge­stal­tung“ (sie­he Lite­ra­tur). Wolf­gang Ker­mers Ein­füh­rung sowie ein Bei­trag von Heinz Spiel­mann dien­ten als Grund­la­ge für den Text auf die­ser Sei­te.

Farbiger Buchumschlag "Abstrakte Kunst"
Buch­um­schlag „Abs­trak­te Kunst“, Baden-Baden, 1955.
(Inv.-Nr. ab-ty-0138d)