Skip to content

Fritz Seitz: Bürg­schaft für etwas ganz Ande­res

Ein­füh­rung zur Eröff­nung der Aus­stel­lung „Hom­mage à Bau­meis­ter“ in der Staat­li­chen Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Stutt­gart am 2. März 1979. Fritz Seitz (1926–2017) besuch­te Bau­meis­ters Klas­se von 1948 bis 1953. 1962 bis 1992 Pro­fes­sur für den „Grund­la­gen­be­reich des Bild­ne­ri­schen“ an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Küns­te Ham­burg.

Wer dem Men­schen näher­kam, erfuhr bald die war­me Aus­strah­lung sei­nes pyknisch-sym­pa­the­ti­schen Natu­rells. Zwar spür­te man Ener­gie und inne­re Akti­vi­tät, aber deren Aus­druck war rund­um gemil­dert durch Behä­big­keit, durch bären­haf­ten Charme, durch den hin­durch kichern­der Humor glit­zer­te.

Da war sodann die aus­ge­präg­te Mil­de, die abwä­gen­de, jeweils per­sön­li­che Zuwen­dung beim Bespre­chen der Schü­ler­ar­bei­ten, die zögern­de For­mung des sprach­li­chen Aus­drucks, das takt­vol­le Urtei­len. Dabei saßen wir zwangs­los im Halb­kreis, Bau­meis­ter dazwi­schen. Er ver­zich­te­te auf Stel­zen, auf auto­ri­tä­res Geha­be. Wo er saß, rauch­te es zwar, aber das kam von der unver­meid­li­chen Zigar­re. Wir wuß­ten das zu schät­zen. Die­je­ni­gen unter uns, die das infer­na­li­sche Geplärr auf deut­schen Kaser­nen­hö­fen hin­ter sich hat­ten, sahen auch dar­in die Bürg­schaft für etwas ganz Ande­res, das wir gesucht hat­ten.

Die­se gute Atmo­sphä­re war auch gut „durch­lüf­tet“. Ich zie­le hier auf ratio­na­le For­men der Ver­mitt­lung, die Bau­meis­ters Leh­re aus­zeich­ne­ten. Dabei wur­de uns in den Kor­rek­tu­ren Bewußt­sein für Metho­dik nahe­ge­bracht. Mit­tel und Wege wur­den reflek­tiert und das Sag­ba­re mög­lichst klar gesagt. Das befä­hig­te uns zuse­hends, unse­re Arbeit selbst zu begrün­den und all­mäh­lich auch das eige­ne Urteil her­bei­zu­füh­ren.

Vie­les, was in den Jah­ren nach 1946 von uns auf­ge­grif­fen wur­de, war frei­lich nur ober­fläch­lich ange­wan­delt, kam aus zwei­ter Hand. Es wur­de aus­ge­leert, denn uns muß­te ein­leuch­ten, daß Schnör­kel und Schmü­cken­des, Über­nom­me­nes und Hin­zu­tre­ten­des nicht das Ursprungs­haf­te sein konn­te. So galt zumal das Deko­ra­ti­ve als der Tod­feind des Aus­drucks.

„Wir malen kei­ne Bil­der – wir stu­die­ren.“ Der Satz stand bis­wei­len an der Wand über den Arbei­ten, die zur Kor­rek­tur zusam­men­ge­tra­gen wor­den waren. Das war unüber­seh­bar pro­gram­ma­tisch. Und auch das hör­ten wir: „Der Künst­ler darf kei­nen Effekt wol­len – er muß einen Zustand her­bei­füh­ren.“ Zustand – Weg – Fund: Die­se Fol­ge aus Ver­ur­sa­chung und Wir­kung rück­te Bau­meis­ters Leh­re in die Nähe gro­ßer Tra­di­tio­nen aus den öst­li­chen Hoch­kul­tu­ren. In die­sen Zusam­men­hang gehört auch noch die­ser bedeut­sa­me Satz: „Das Werk muß die gro­ße Linie der Pas­si­vi­tät mit beinhal­ten.“ Man bemerkt es: Durch das Wir­ken die­ses Man­nes schien Uni­ver­sel­les hin­durch und auch das, was man das All­ge­mein-Mensch­lich nennt.

Ich kom­me zum Schluß: Wie schon ange­deu­tet, ver­pflich­tet der Anlaß der Hul­di­gung, eins­ti­ge Wider­sa­cher nicht zum Ziel schar­fer Angrif­fe zu machen. Aber ich darf auch nicht in völ­li­gem Still­schwei­gen über­ge­hen, was Bau­meis­ter nach 1946 erneut in den Weg gelegt wur­de. Man muß wis­sen, daß es den Eifer gab, Bau­meis­ters Leh­re in eine insti­tu­tio­nel­le Pra­xis zu über­füh­ren, die letz­ten Endes die gan­ze Stutt­gar­ter Aka­de­mie neu struk­tu­rie­ren soll­te. Dage­gen stan­den Kräf­te, die das auf ihre Wei­se zu ver­hin­dern wuß­ten. Es soll dabei in den Jah­ren vor 1950 auch gewis­se Boy­kott­ver­su­che gege­ben haben. Und als das 65. Lebens­jahr erreicht war, kam aber­mals ein pünkt­li­cher Abschied, obwohl in gewis­sen Fäl­len stets die schö­ne Aus­nah­me gilt. Genug.

Mei­ne Damen und Her­ren, beden­ken wir, daß wohl die meis­ten Wider­sa­cher von einst begra­ben lie­gen. Ja, ich möch­te heu­te, für die­sen Anlaß wenigs­tens, um Scho­nung bit­ten. Las­sen auch Sie sich durch ein Wort Bau­meis­ters aus jenem bekannt gewor­de­nen Darm­städ­ter Streit­ge­spräch bin­den. Er bekann­te damals von sich:

Ich gehö­re zu den­je­ni­gen, die sich ungern im Gegen­satz zu etwas befin­den – ABER des­halb bin ich gegen­sätz­lich und Feind den­je­ni­gen, die sich rich­tend und ver­ur­tei­lend betä­ti­gen!“

Wir wür­den uns dem Geist Bau­meis­ters also wider­set­zen, wenn wir aus­ge­rech­net heu­te, zur Ehrung sei­nes 90. Geburts­ta­ges, ande­re rich­ten und ver­ur­tei­len woll­ten.

Ein letz­tes Wort an die Jugend, mit der Bau­meis­ter am liebs­ten bei­sam­men war, die er lieb­te und die sei­ne Lie­be erwi­dert hat: Wir, ehe­ma­li­ge Schü­ler die­ses Man­nes, wün­schen Ihnen das Glück, ech­ter Auto­ri­tät zu begeg­nen, dazu die Fähig­keit und inne­re Frei­heit, sol­che Auto­ri­tät wahr­zu­neh­men und zu nut­zen – auf­ge­tan im Geist der Ent­wick­lung, die wir nicht ken­nen, die noch als das Unbe­kann­te vor uns liegt, die wir aber aus unse­rem gan­zen Wesen mit erwir­ken wol­len!

(Aus­zü­ge aus der Rede, zitiert nach Ker­mer 1992, S. 189 ff. )
Trau­er­re­de auf dem Stutt­gar­ter Prag­fried­hof am 5. Sep­tem­ber 1955.

(Typo­skript im Archiv Bau­meis­ter)