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Zeichnung von Willi Baumeister: Mit dunklen Formen (WVZ-0691)

Ent­las­sen und ver­femt:
1936 bis 1939

Die male­ri­sche Ent­wick­lung Bau­meis­ters wur­de mit dem Ver­lust sei­ner Pro­fes­sur in Frank­furt 1933 nicht unter­bro­chen. Ent­spre­chend viel­fäl­tig war sein Werk und des­sen Ent­wick­lung auch für die Zeit nach der Über­nah­me der Macht durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten. Aus einer sehr male­ri­schen Werk­pha­se her­aus ent­wi­ckel­te er in die­sem kur­zen Werk­ab­schnitt ab etwa 1936 die außer­or­dent­lich redu­zier­ten, eben­so orga­ni­schen wie sym­bol­haf­ten „Ideo­gram­me“. Aus sei­ner Hin­wen­dung zu Goe­thes Vor­stel­lung von Urpflan­zen­for­men ent­stan­den die gestalt- und farb­rei­chen „Eidos-Bil­der“.

Gemälde von Willi Baumeister: Eidos mit Grün und Rot (BB-0840)
Eidos mit Grün und Rot
(Inv.-Nr. BB-0840)
Gemälde von Willi Baumeister: Maske 4 (BB-0646)
Mas­ke 4
(Inv.-Nr. BB-0646)

Frei­es Spiel von Far­be und Flä­che

Rein äußer­lich wird die­se Pha­se mar­kiert durch die Münch­ner Aus­stel­lung „Ent­ar­te­te Kunst“ im Jahr 1937, in der auch eini­ge Arbei­ten Bau­meis­ters gezeigt wur­den, zum ande­ren durch den Kriegs­be­ginn im Sep­tem­ber 1939. Man­ches, das er in den frü­hen 1930er Jah­ren begon­nen hat­te, brach­te er jetzt zur Rei­fe. Die male­ri­sche Pha­se Bau­meis­ters erreich­te in die­sen Jah­ren einen Höhe­punkt. Mit „Figur in Bewe­gung“ (1936) und „Mas­ke 4“ (1936) ent­fern­te er sich wei­ter als je zuvor von sei­ner Kunst der Zwan­zi­ger Jah­re. Mit den aktu­el­len Arbei­ten setz­te er die Bemü­hun­gen um neue Aus­drucks­for­men fort, die kurz zuvor in den letz­ten „Sport­bil­dern“ ein­ge­setzt hat­ten.

Nun redu­zier­te er jedoch die Bezü­ge zur mensch­li­chen Figur immer mehr zu einem frei­en Spiel der Far­ben und Flä­chen. Amö­ben­glei­che Form­ge­bil­de schei­nen über die Ober­flä­che zu schwim­men. Sie behaup­ten sich klar gegen die benach­bar­ten Ele­men­te, bege­ben sich aber den­noch mit ihnen in einen Dia­log, geben ihnen Raum und drin­gen ihrer­seits in freie Räu­me vor. „Mas­ke 4“ ist ein prä­gnan­tes Bei­spiel für Bau­meis­ters hohes Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen, denn es han­delt sich um Mas­ke und Figur glei­cher­ma­ßen. So men­schen­fern sich die Kom­po­si­ti­on auf den ers­ten Blick gibt, so kann man doch all­mäh­lich Glied­ma­ßen, Augen und ähn­li­ches erah­nen. Die außer­or­dent­li­che Zei­chen­haf­tig­keit die­ser Arbei­ten gibt Inter­pre­ta­tio­nen nach meh­re­ren Rich­tun­gen Platz.

Selbst in sei­nen Zeich­nun­gen und in der Druck­gra­fik ver­moch­te Bau­meis­ter sei­ne betont male­ri­sche Dar­stel­lungs­wei­se bei­zu­be­hal­ten. Die „Lini­en­fi­gu­ren auf Braun“ (1936) zei­gen das­sel­be Form­ver­ständ­nis wie „Mas­ke 4“. Leicht ver­wisch­te Flä­chen­ele­men­te tre­ten nicht in Kon­kur­renz zu den kur­vi­gen Umris­sen, son­dern wei­sen ihnen qua­si-Farb­wer­te zu. Wie im Gemäl­de erkennt man die Ambi­va­lenz von Figur und Mas­ke, die auch im Unter­ti­tel „Gro­ße Mas­ke“ anklingt. Wie häu­fig in den Litho­gra­fien über­setz­te Bau­meis­ter sei­ne Ölma­le­rei in die Spra­che der Druck­gra­fik. Ähn­li­ches gilt für die Zeich­nun­gen jener Jah­re, wie etwa „Mit dunk­len For­men“ von 1938.

Um die Ton­wer­te berei­nigt ent­spre­chen die „Lini­en auf Blau“ von 1937 der vor­ge­nann­ten Litho­gra­fie. Jedoch sind die ein­zel­nen Ele­men­te noch schwe­re­lo­ser als dort. Der Bezug zu den neu­es­ten Kon­zep­ten wird im Ver­gleich zu „KFLS“ von 1936 (für: Kom­po­si­ti­on – far­big – line­ar – schwe­bend) sicht­bar: Das Gemäl­de gehört eben­falls zur male­ri­schen Pha­se, doch die schwe­ben­den For­men lösen sich noch stär­ker aus einem ein­deu­ti­gen figu­ra­len Kon­text. Damit ist die­se Arbeit das Bin­de­glied zu einem zwei­ten Werk­kom­plex – den „Ideo­gram­men“.

Bild­zei­chen – Schrift­zei­chen

„Ideo­gramm“ bedeu­tet „Ideen­zei­chen“ oder „Bild­zei­chen“. Zei­chen­haf­tig­keit als ein Grund­ele­ment abs­trak­ter Kunst war von Beginn an im Oeu­vre Bau­meis­ters ange­legt. Seit der Mit­te der 1930er Jah­re nahm der Sym­bol­cha­rak­ter sei­ner Wer­ke immer stär­ker zu.

Nun trat die Nähe zu asia­ti­schen Schrift­zei­chen, die ja zugleich auch Bild­zei­chen sind, in den Vor­der­grund. In der fern­öst­li­chen Kal­li­gra­phie fand Bau­meis­ter so etwas wie die Urbe­deu­tung des künst­le­ri­schen Aus­drucks: die Zei­chen­haf­tig­keit und Sym­bol­kraft eini­ger weni­ger Stri­che erschien ihm aus­sa­ge­kräf­ti­ger als das Abbild der Natur. In den „Toris“ ist sogar eine Nähe zur Archi­tek­tur ost­asia­ti­scher Tem­pel oder Schrei­ne zu ver­spü­ren.

Bei nähe­rer Betrach­tung sieht man eine Ver­bin­dung zu den „Läu­fern“ von 1934: Kopf, Arme, Tail­le, und die aus­grei­fen­de Schritt­be­we­gung sind auch beim „Ideo­gramm“ von 1936 erkenn­bar. Die­ses Gemäl­de hat damit gewis­ser­ma­ßen noch eine mensch­li­che Dimen­si­on, wäh­rend „Schwe­ben­de For­men mit Weiß“ (1938) zur rei­nen Form gewor­den ist. Auch das „Ideo­gramm“ von 1938 ist an die Gren­ze zum Unge­gen­ständ­li­chen gerückt, wäh­rend „Tori“ (1938) for­mal dazwi­schen steht.

Gemälde von Willi Baumeister: Ideogramm (BB-0795)
Ideo­gramm
(Inv.-Nr. BB-0795)

Indi­vi­dua­lis­mus statt Sche­ma­tis­mus

Am stärks­ten wird die­se Werk­pha­se durch die „Eidos“-Bilder geprägt. Sie sind einer­seits der Gip­fel­punkt der male­ri­schen Bemü­hun­gen, zum ande­ren wei­sen sie bereits auf den nächs­ten Werk­kom­plex der 1940er Jah­re vor­aus. Die­se Serie besticht durch eine gro­ße Viel­falt an Struk­tu­ren, Farb­schat­tie­run­gen und per­ma­nen­ten Neu-Erfin­dun­gen. Mit ihnen ließ Bau­meis­ter jeg­li­chen Sche­ma­tis­mus hin­ter sich.

Laby­rin­thisch ver­wor­re­ne Knäu­el geben jeder Arbeit einen indi­vi­du­el­len Cha­rak­ter. Stets sieht man eine Art Figur aus kur­vi­gen Flä­chen und Lini­en, die ent­fernt an mensch­li­che Gestal­ten erin­nert, aber wie ein Geist über der Erde schwebt. Es han­delt sich um mythi­sche Sze­ne­rien in einer Fan­ta­sie­welt, die an die Ursprün­ge der Welt anspie­len. Die Figu­ren erwach­sen gleich­sam aus Erde, Samen, Lava, Stein und Wind – los­ge­löst von jedem Bezug zur rea­len Welt und doch in ihrer spie­le­risch-hei­te­ren Leich­tig­keit irgend­wie ver­traut. Ein­zel­ne Ele­men­te der „Eidos“-Bilder las­sen sich auch in ande­ren Arbei­ten die­ser Pha­se fin­den (sie­he „Figur in Bewe­gung“, 1936 – „Mit dunk­len For­men“ 1938), wur­den aber in eine neue Idee ein­ge­bun­den.

Es ist nicht sicher, was mit „Eidos“ gemeint war. Eine sprach­li­che Nähe zu „Ideo­gramm“ und der Idee des Urzei­chens oder Urbil­des ist offen­sicht­lich. Auch Goe­thes Idee von einer Urpflan­ze und ande­re frü­he Lebens­for­men inspi­rier­ten Bau­meis­ter. Ein wei­te­res Gemäl­de die­ser Pha­se trägt auch den Titel „Urpflanz­lich“ (1939). Für ihn gehör­te das Urbild­haf­te stär­ker denn je zu den bestim­men­den Ele­men­ten nicht nur der moder­nen künst­le­ri­schen Arbeit, son­dern des moder­nen Men­schen und sei­ner Erleb­nis­welt über­haupt.