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Gemälde von Willi Baumeister: Montaru 9 (BB-1950)

Das Spät­werk:
1950 bis 1955

In sei­ner letz­ten Werk­pha­se fan­den sich unzäh­li­ge magi­sche Fan­ta­sie­we­sen ein, die nicht mehr aus der archai­schen Welt frü­he­rer Jah­re stamm­ten. Mit ihnen ent­wi­ckel­te Wil­li Bau­meis­ter sei­ne cha­rak­te­ris­ti­sche Form der Abs­trak­ti­on wei­ter und fand aber­mals neue Aus­drucks­wei­sen. In vie­len Gemäl­den wie auch in der Seri­gra­fie, mit der er sich inten­siv beschäf­tig­te, nahm er zahl­rei­che The­men und for­ma­le Pro­ble­me aus sei­nem frü­he­ren Schaf­fen wie­der auf. Auf die­se Wei­se bekam das Werk Bau­meis­ters in den Jah­ren 1950 bis 1955 so vie­le Facet­ten wie sel­ten zuvor.

Gemälde von Willi Baumeister: Wind (BB-1686)
Wind
(Inv.-Nr. BB-1686)
Gemälde von Willi Baumeister: Han-i (BB-2125)
Han‑i
(Inv.-Nr. BB-2125)

Rück­schau und Ent­wick­lung

Obwohl der Künst­ler gera­de erst Anfang 60 war, nimmt sich das rei­fe Werk Bau­meis­ters wie ein Ver­mächt­nis aus. Vie­le Strö­mun­gen, Ent­wick­lun­gen und Ideen sei­nes eige­nen Oeu­vres füg­te er nach 1950 in neu­en Bild­schöp­fun­gen zusam­men. Ein wich­ti­ger Grund dafür war, dass er in neu­er künst­le­ri­scher Frei­heit und im Zusam­men­hang mit der Auf­bruch­stim­mung unter den Kunst­schaf­fen­den in Deutsch­land und Euro­pa man­ches über­prüf­te und neu inter­pre­tier­te, um sich sei­nes eige­nen Stand­punkts und sei­ner Rol­le als Ver­tre­ter der abs­trak­ten Kunst zu ver­ge­wis­sern.

Das „Mauer“-Motiv, das „Reli­ef“ und die „Unge­gen­ständ­lich­keit“ beschäf­tig­ten ihn seit 1919, „Archai­sches und frem­de Kul­tu­ren“, „Sym­bol und Zei­chen“ seit 1931, „Meta­mor­pho­sen“ und „Figu­ren­land­schaf­ten“ eben­falls seit den frü­hen 1930er Jah­ren, „Lasu­ren“ seit 1935. Sie alle – wie auch die The­men „Ideo­gramm“ (seit 1936), „Afri­ka“ (seit 1942) und „Gil­ga­mesch“ (seit 1943) – spiel­ten auch jetzt wie­der eine zen­tra­le Rol­le. Dies gilt eben­so für die Tech­ni­ken des Kamm­zugs und des Durch­rei­bens (bei­de seit 1943/44) sowie den Ein­satz von Sand­grund seit 1920.

Die Bei­spie­le zei­gen die teil­wei­se frei­en Bezü­ge Bau­meis­ters zu sei­nem eige­nen Schaf­fen. Dabei übte er sich beson­ders in der neu­en Tech­nik des künst­le­ri­schen Sieb­drucks – der Seri­gra­fie –, die er über­zeu­gend für sei­ne Zwe­cke ein­zu­set­zen wuss­te.

Die Über­set­zungs­leis­tung wird vor allem an „Safer 5“ (1954) und den „Han‑i“-Bildern von 1955 erkenn­bar, in denen die Bezü­ge zur Höh­len­ma­le­rei bzw. die an asia­ti­sche Kunst erin­nern­den Ideo­gram­me deut­lich wer­den. Bei­des waren Schlüs­sel­mo­ti­ve Bau­meis­ters nach sei­ner Ent­las­sung aus dem Frank­fur­ter Lehr­amt im Jahr 1933 gewe­sen. Die ver­gleichs­wei­se stren­ge Ach­sia­li­tät in den „Han‑i“-Arbeiten lässt aber auch Bezü­ge zu den „Mau­er­bil­dern“ von 1920 bis 1924 zu. „Magie Rupest­re“ (1953) erin­nert an die Lasur­bil­der von 1941, ist aber in sei­nem kraft­vol­len Duk­tus ohne die Zeich­nungs-Zyklen von 1943 nicht denk­bar.

Schritt­wei­se in die Wel­ten des Unbe­greif­li­chen

Seit der Mit­te der Drei­ßi­ger Jah­re war Bau­meis­ter Schritt für Schritt in die Tie­fe vor­an­ge­schrit­ten – an den Beginn der Schöp­fung, der künst­le­ri­schen Form, der mensch­li­chen Trieb­kräf­te. Nicht von unge­fähr lau­te­te der Titel sei­nes 1947 erschie­ne­nen Buches „Das Unbe­kann­te in der Kunst“. Die­ses Unbe­kann­te hat­te für ihn zahl­lo­se Gesich­ter und Aus­drucks­for­men. Und es ließ ihn nicht mehr los! Zwi­schen 1935 und 1945 hat­te er dem Unbe­kann­ten noch Namen gege­ben: „Läu­fer“, „Chum­baba“, „Afri­ka“. An ihre Stel­le setz­te er nun For­men, Far­ben, Bewe­gun­gen und Klän­ge.

„Meer“ – „Nacht“ – „Phan­to­me“ – „Kobol­de“ waren seit 1950 wesent­li­che The­men sei­ner Bil­der. Sie alle umspiel­ten in unter­schied­li­cher Wei­se Ursi­tua­tio­nen und unbe­kann­te Kräf­te. Doch Bau­meis­ters Arbei­ten rie­fen kei­ne Beklem­mun­gen her­vor, es waren kei­ne Moti­ve der Angst, allen­falls des Unbe­greif­li­chen, das auch fas­zi­nie­rend sein konn­te. Bei ihm waren das Meer und die Nacht („Meer­tang“, 1950 – „Noc­tur­no“, 1953) Ele­men­te des Schöp­fe­ri­schen. Phan­to­me und Kobol­de (fran­zö­sisch: Lut­ins) erschie­nen wie will­kom­me­ne Gefähr­ten.

Ein zwei­ter Schritt in die Welt des Unbe­kann­ten waren die „Meta­mor­pho­sen“. Die­ses Motiv hat­te Bau­meis­ter schon 1938/39 mit den „Eidos“-Bildern gestreift, wel­che zeit­gleich mit den „Ideo­gram­men“ ent­stan­den. Doch jetzt brach­te er es zu Ende, indem er „Wachs­tum“ und Kal­li­gra­fie zusam­men­füg­te. Nun lös­te er alle Erin­ne­rung an Gegen­ständ­li­ches auf und behielt nur noch zei­chen­ar­ti­ge Gewe­be­struk­tu­ren und Net­ze bei, die an Ner­ven­ge­flech­te erin­nern. Die Ele­men­te ande­rer abs­trak­ter Bil­der (z.B. „Figur in Bewe­gung“, 1952) erin­nern an Fels­zeich­nun­gen, vor allem aber an Bak­te­ri­en oder Samen­fä­den, die sich all­mäh­lich zusam­men­fü­gen zu höhe­ren Struk­tu­ren, aber immer noch nach einer fes­ten Ord­nung suchen.

Gemälde von Willi Baumeister: Bluxao (BB-2114)
Blu­xao
(Inv.-Nr. BB-2114)
Gemälde von Willi Baumeister: Monturi
Mon­tu­ri
(Inv.-Nr. BB-2000)

Schwar­zer und wei­ßer Kos­mos

Eine gänz­lich neue Form der Idee von Posi­tiv und Nega­tiv, die ihn schon seit 20 Jah­ren beschäf­tig­te, brach­te er mit den Seri­en „Mon­taru“ und “ Mon­tu­ri“ ins Spiel, die zwi­schen 1953 und 1955 ent­stan­den und 56 bzw. 16 zumeist groß­for­ma­ti­ge Arbei­ten umfas­sen. Mit die­sem letz­ten gro­ßen Werk­kom­plex, zu dem auch die „ARU“-Bilder zäh­len, betrat Bau­meis­ter eine Welt, die er letzt­mals in den Drei­ßi­ger Jah­ren beschrit­ten hat­te: Die der gro­ßen schwar­zen Flä­chen.

In den Phan­to­men von 1952 deu­te­te es sich bereits an: Die Haupt­fi­gur – als sol­che nur noch anhand von insek­ten­ar­ti­gen Bei­nen und Füh­lern sowie win­zi­gen Augen­lö­chern zu iden­ti­fi­zie­ren – begann, sich über die Flä­che all­mäh­lich aus­zu­brei­ten und alles zu über­la­gern. Die „Mon­tarus“ erschei­nen wie kos­mi­sche schwar­ze Löcher: Bedroh­lich und magisch anzie­hend zugleich. Man kann sich ihrer Fas­zi­na­ti­on kaum ent­zie­hen, zumal Bau­meis­ter die leuch­ten­de Far­big­keit ande­rer Arbei­ten kei­nes­wegs auf­gab, son­dern den Rän­dern der schwar­zen Flä­chen star­ke Farb­kon­tras­te hin­zu­füg­te. So ent­stan­den Gebil­de wie schwar­ze Engel einer unbe­kann­ten Sphä­re – lockend, ohne Angst zu erzeu­gen.

Ähn­lich kon­tra­punk­tisch wie die klei­ne­ren far­bi­gen zur gro­ßen schwar­zen Flä­che ver­hal­ten sich die gleich­zei­tig ent­stan­de­nen „Monturi“-Bilder zu den „Mon­tarus“. Kom­po­si­tio­nell mit die­sen ver­gleich­bar domi­niert in ihnen aber eine gro­ße wei­ße Flä­che. Mit die­sen bei­den Kom­ple­xen ver­mit­tel­te Bau­meis­ter die dunk­le und die hel­le Sei­te des Kos­mos mit einem schwar­zen und einem wei­ßen Ener­gie­feld – mit der Ener­gie, die alles auf­saugt, und jener, die – der Son­ne gleich – alles abgibt.

Klang­vol­le Namen

Indem sich Bau­meis­ter immer wei­ter in eine uner­gründ­li­che Welt begab, hat­ten her­kömm­li­che Bild­ti­tel kei­ne Funk­ti­on mehr. An ihre Stel­le setz­te er häu­fig klin­gen­de Bezeich­nun­gen, wel­che die Inten­ti­on der Arbeit unter­stri­chen. Im Fall der bei­den vori­gen Seri­en tru­gen die schwar­zen Bil­der den dunk­len Ton auf „-u“, wäh­rend die Titel der wei­ßen Bil­der mit einem hel­len Klang auf „-i“ enden. Die­se Laut­ma­le­rei fin­det sich in wei­te­ren Arbei­ten, wie etwa „Noc­tur­no“, „Blu­xao“ und „Kessaua“ sowie schließ­lich in dem letz­ten gro­ßen Werk­kom­plex „ARU“.

Gemälde von Willi Baumeister: Kessaua II (BB-1896)
Kessaua II
(Inv.-Nr. BB-1896)

Letz­te Arbei­ten

„ARU“ war die Fort­füh­rung des „Montaru“-Gedankens. Bau­meis­ter griff auf eine stär­ker figur­be­zo­ge­ne Dar­stel­lung zurück und ver­lieh dem Schwarz gewis­ser­ma­ßen Arme und Bei­ne, womit es noch stär­ker in die Bild­flä­che aus­grei­fen konn­te („Aru 2“, 1955). Die Farb­kon­tras­te dräng­te er teil­wei­se bis zu ihrer voll­stän­di­gen Til­gung zurück („ARU dun­kel-blau“, 1955). Doch auch hier setz­te Bau­meis­ter ein Zei­chen der Hoff­nung, etwa bei „Aru mit Gelb“ (1955), auf dem die hel­len Farb­wer­te schon die Hälf­te des Bil­des ein­ge­nom­men haben und das Schwarz zuneh­mend zu ver­drän­gen schei­nen.

Man kann Bau­meis­ter bei so viel Schwarz den­noch kein schwe­res Gemüt unter­stel­len. Er war zeit­le­bens Opti­mist, in mensch­li­cher wie künst­le­ri­scher Hin­sicht. Vie­le Arbei­ten, die neben den „Mon­taru“ und „ARU“-Bilder ent­stan­den, zei­gen sein Werk von der hei­te­ren, posi­ti­ven Sei­te – so wie es auch schon am Ende des Zwei­ten Welt­kriegs gewe­sen war. Allein schon, dass er in die­ser Werk­pha­se fast voll­stän­dig auf schwe­re Erd­far­ben ver­zich­te­te, gibt einen Hin­weis. Gemäl­de, wie „Hom­mage Jérô­me Bosch“ (1953), „Wei­ßer Schmet­ter­ling“ (1955) oder „Blu­xao“ (1955) set­zen die Leich­tig­keit vie­ler Arbei­ten seit 1944 mit ihren schwe­ben­den, far­ben­fro­hen Ele­men­ten eben­falls fort.

Wie in nahe­zu allen Pha­sen sei­nes Schaf­fens war sei­ne Arbeit auch jetzt wie nach dem Kon­zept von The­se und Anti­the­se aus­ge­rich­tet. Wie immer umspiel­te er ein for­ma­les Pro­blem oder ein The­ma von meh­re­ren Sei­ten, fand unter­schied­li­che Ansät­ze und Ant­wor­ten, blieb nie ste­hen, gab sich nie zufrie­den. Man­ches ließ er auf die­sem Weg zurück, um es zu einem spä­te­ren Zeit­punkt wie­der auf­zu­neh­men. Ruhe­los streb­te er danach, dem Unbe­greif­li­chen Form zu ver­lei­hen. Wie nah er sich im Spät­som­mer 1955 dem Unbe­kann­ten in der Kunst fühl­te, ist nicht bekannt. Die Arbei­ten sei­ner letz­ten Werk­pha­se zei­gen aber eben­so wie vie­le sei­ner Äuße­run­gen jener letz­ten Jah­re, dass er wohl näher dran war als je zuvor.