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Gemälde von Willi Baumeister: Erinnerungsrest (Linienrelief)

In dunk­ler Zeit:
1940 bis 1945

Viel­fäl­tig war Bau­meis­ters Werk und des­sen Ent­wick­lung in der Zeit zwi­schen 1940 und dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs, obwohl er mit einem Aus­stel­lungs­ver­bot belegt wur­de. Die afri­ka­ni­sche Skulp­tur, in der Bau­meis­ter all­ge­mein­gül­ti­ge Bil­der für das Wer­den der mensch­li­che Exis­tenz sah, fand ihre Reflek­ti­on in immer stär­ke­rer Far­big­keit. Auch Mau­er­for­men und Posi­tiv-Nega­tiv-Struk­tu­ren beherrsch­ten das Werk. Dane­ben tra­ten groß­ar­ti­ge Zeich­nungs-Zyklen neben die Male­rei.

Gemälde von Willi Baumeister: Schamasch im Dialog (BB-1158)
Scha­masch im Dia­log
(Inv.-Nr. BB-1158)
Gemälde von Willi Baumeister: Afrikanische Erzählung (BB-0972)
Afri­ka­ni­sche Erzäh­lung
(Inv.-Nr. BB-0972)

Para­phra­sen Afri­kas

Schon in den Zwan­zi­ger Jah­ren hat­te Wil­li Bau­meis­ter begon­nen, außer­eu­ro­päi­sche und prä­his­to­ri­sche Kunst zu sam­meln. Anders als die Expres­sio­nis­ten nahm Bau­meis­ter die afri­ka­ni­sche Kunst nicht als unmit­tel­ba­res Vor­bild, son­dern las in ihnen die all­ge­mein gül­ti­gen, zeit­lo­sen Bild­aus­sa­gen: Das Mythi­sche, den Rhyth­mus, das Erd­be­zo­ge­ne, das Gleich­nis­haf­te und damit auch – wenn man so will – das Hei­li­ge. Wie schon im Zusam­men­hang mit den Fels­ma­le­rei­en zehn Jah­re zuvor, sah Bau­meis­ter in der afri­ka­ni­schen Kunst und Kul­tur auch die sti­mu­lie­ren­de Kraft und die orna­men­ta­len Struk­tu­ren und Farb­klän­ge, die er auf sein per­sön­li­ches Form­emp­fin­den über­trug.

Die­se Aus­ein­an­der­set­zung spie­gelt sich über einen sehr lan­gen Zeit­raum zwi­schen 1942 und 1955 in einem umfang­rei­chen Werk­kom­plex wider. Bau­meis­ter ver­steck­te die­se Bezü­ge nicht, son­dern gab sei­nen Bil­dern Titel, wie „Afri­ka mit gel­bem Hori­zont“ (1942), „Afri­ka­nisch (Daho­mey)“ (1942), „Trom­mel­schlag“ (1942) oder „Owam­bo“ (1944). For­mal unter­schei­den sie sich stark von den „Eidos“-Kompositionen. Wäh­rend dort etwa zur sel­ben Zeit flie­ßen­de und schwe­ben­de For­men vor­herr­schen, fin­den sich in den „Afrika“-Bildern eher ecki­ge Figu­ren in einem fes­ten, reli­ef­ar­ti­gen Gefü­ge. Auf die­se Wei­se ant­wor­te­te Bau­meis­ter mit bild­ne­ri­schen Mit­teln auf das Stak­ka­to bei­spiels­wei­se eines afri­ka­ni­schen Tan­zes und gab ihm neue Form.

Er knüpf­te aber auch direkt an die male­ri­sche Pha­se an, die um 1930 mit ihren flie­ßen­den For­men ein­ge­setzt hat­te. Zu einer Rei­he von Gemäl­den, die einer Figu­ren­land­schaft gli­chen, gehört „Jac­ques Cal­lot gewid­met“ von 1941.

Epos und Reli­ef als Zeit­for­men

Die seit Kriegs­be­ginn sowie dem Mal- und Aus­stel­lungs­ver­bot laten­te Bedro­hung sei­ner Exis­tenz, die in der Zer­stö­rung der Woh­nung und des Ate­liers durch Bom­ben gip­fel­te, fand schließ­lich auch ihren Wider­hall in den Bil­dern. Dabei erzeug­te er eine Syn­the­se aus per­sön­li­chem Erle­ben und dem Inhalt alter Epen. Ins­be­son­de­re das „Gilgamesch“-Epos wur­de für ihn zum Gleich­nis mensch­li­chen Lebens schlecht­hin, für den Kampf und den Sieg über die Gefahr, für den Ver­such, dem Nie­der­gang durch ewi­ges Leben zu ent­ge­hen, aber auch für die stoi­sche Ruhe, sich in sein Schick­sal zu fügen. Auch ande­re früh­zeit­li­che Geschich­ten und Moti­ve aus meso­po­ta­mi­schen, grie­chi­schen oder bibli­schen Quel­len dien­ten Bau­meis­ter als bei­spiel­haf­te Inspi­ra­ti­on für sei­ne Arbeit.

So ent­stan­den seit 1942 bis weit nach 1945 zahl­rei­che Gemäl­de mit Titeln, die auf archai­sche Wel­ten ver­wie­sen, wie „Gil­ga­mesch und Enkidu“ (1943), „Ur-Nugal“ (1944), „Archai­scher Dia­log“ (1944) und eini­ge mehr. Bau­meis­ter ver­knüpf­te die lite­ra­ri­schen Vor­bil­der mit vor- und früh­zeit­li­cher Kunst, so dass die Gestal­ten stein­zeit­li­chen Monu­men­ten, Ritz­zeich­nun­gen und Höh­len­bil­dern, vor allem aber abs­trak­ten Reli­efs ähnel­ten, die in pas­to­sem Auf­trag von Far­be, Kunst­harz und Spach­tel­kitt vor den Mal­grund tra­ten.

Wäh­rend in den „Afri­ka“- und „Eidos“-Serien der male­ri­sche Aspekt über­wog, stell­te Bau­meis­ter nun die skulp­tu­ra­le Erschei­nung sei­ner Figu­ren in den Vor­der­grund. Dabei erzeug­te er durch die block­haf­te Behand­lung der qua­si posi­tiv her­vor­tre­ten­den Bild­ele­men­te zugleich eine Nega­tiv-Ebe­ne, wobei auch die­se ihre Eigen­wer­tig­keit besaß. Auf die­se Wei­se wur­de eine stän­di­ge Bewe­gung des Sehens erzeugt, die dem Kunst­werk eine Mehr­schich­tig­keit zuwies.

Gemälde von Willi Baumeister: Sonnenfiguren (BB-1344)
Son­nen­fi­gu­ren
(Inv.-Nr. BB-1344)

Mehr­di­men­sio­na­li­tät und die Hoff­nung auf Erlö­sung

Ein­deu­ti­ge Bild­in­hal­te hat­ten ohne­hin nie Bau­meis­ters Vor­stel­lung ent­spro­chen und taten es in die­ser Pha­se umso weni­ger. Auch in meh­re­ren Arbei­ten, die er „Per­fo­ra­tio­nen“ nann­te, fin­den wir brau­ne oder blau­graue For­men, die posi­tiv wie nega­tiv zu lesen sind. Reli­ef und Per­fo­ra­ti­on sind im Grun­de zwei unter­schied­li­che Her­an­ge­hens­wei­sen an das­sel­be The­ma. Bezeich­nend für die Mehr­di­men­sio­na­li­tät die­ser Pha­se ist der Titel „Noch nicht ent­zif­fert“ für ein wei­te­res Gemäl­de von 1942.

Das einer archai­schen Schrift glei­chen­de Gemäl­de „Erin­ne­rungs­rest“ (1944) ist ähn­lich reli­ef­ar­tig kon­zi­piert wie „Jura“ und „Gil­ga­mesch“, aber stär­ker in Rich­tung Lini­en­zeich­nung redu­ziert. Dadurch wirkt es – ähn­lich wie die „Strei­fen­kom­po­si­ti­on auf Lila“ aus dem­sel­ben Jahr – leich­ter und weni­ger bedroh­lich. Dies cha­rak­te­ri­siert noch wei­te­re Arbei­ten von 1944, wie bei­spiels­wei­se die „Son­nen­fi­gu­ren“, die in ihrer hel­len Hei­ter­keit wie eine Vor­ah­nung oder gar Beschwö­rung des Kriegs­en­des und damit der Erlö­sung gele­sen wer­den kön­nen.

Die­se Absicht beton­te er durch den Ein­satz der neu­en „Kammzug“-Technik, mit deren Hil­fe er ein­zel­nen Bild­be­stand­tei­len eine leb­haf­te, sich im Licht bre­chen­de Ober­flä­che ver­lieh. Die­se Tech­nik, mit der er nun auch ein­zel­nen Flä­chen Bewe­gun­gen und Rich­tun­gen zuwies, setz­te er bis weit in die Fünf­zi­ger Jah­re ein. In den Zeich­nun­gen fin­det man sie noch häu­fi­ger in Gestalt der Durch­rei­be-Tech­nik.

Zeich­nungs-Zyklen

Als eige­ner Aspekt wer­den Bau­meis­ters Zeich­nun­gen behan­delt.
Gegen Ende des Krie­ges wand­te sich Bau­meis­ter ver­stärkt der Zeich­nung zu. Dies geschah zum einen aus Man­gel an Ölfar­ben und Lein­wand, zum ande­ren gab es ihm die Mög­lich­keit, sein Kon­zept einer „Ur-Kunst“ rascher und unmit­tel­ba­rer umzu­set­zen. Der Cha­rak­ter von Schrift­zei­chen schien ihm auch bes­ser auf dem Papier als im gro­ßen For­mat dar­stell­bar. Wie oben aus­ge­führt, erschie­nen ihm die Figu­ren mytho­lo­gi­scher Epen wie auch des Alten Tes­ta­ments wie Chif­fren einer nicht mehr ver­stan­de­nen Welt. In meh­re­ren gezeich­ne­ten Illus­tra­ti­ons­fol­gen spiel­te er die­se The­ma­tik in gro­ßem Umfang durch, begin­nend mit „Gyges“ (Hero­dot) über „Gil­ga­mesch“ bis hin zu den Büchern „Esther“ und „Saul“ sowie der Geschich­te von „Salo­me“. In allen die­sen Epen sind Herr­schaft, Wider­stand und Erlö­sung the­ma­ti­siert. Der Bezug zum Natio­nal­so­zia­lis­mus ist offen­sicht­lich und tritt noch deut­li­cher zum Vor­schein, wenn man sieht, dass er die­se Zyklen bald nach 1945 in Litho­gra­fien über­trug, um sie – nach Jah­ren der Iso­la­ti­on – einem brei­te­ren Per­so­nen­kreis zugäng­lich zu machen.

Auf über 500 Blät­tern (!) spiel­te Bau­meis­ter all sein Kön­nen durch. Ganz aktu­ell waren dabei betont reli­ef­ar­ti­ge Kom­po­si­tio­nen, wie in „Gil­ga­mesch VIII“ und „Gil­ga­mesch IX“ oder sehr zei­chen­haf­te und äußerst kon­trast­rei­che Figu­ren, wie im Blatt „Esther XX“. Dane­ben wir­ken die Zyklen aber fast wie ein Ver­mächt­nis Bau­meis­ters, denn man fin­det in ihnen Dar­stel­lun­gen, die an die Figu­ren der Zwan­zi­ger Jah­re erin­nern, an die „Läu­fer“ („Gil­ga­mesch IX“), „Eidos“-Gestalten und „Ideo­gram­me“ („Esther XVI“) der Drei­ßi­ger Jah­re oder an die „Afrika“-Bilder von 1942.

Zwei­fel­los führ­te die Gefähr­dung des male­ri­schen Oeu­vres durch Bom­ben eben­so wie durch die NS-Bil­der­stür­mer zu solch einem schöp­fe­ri­schen Reich­tum inner­halb nur weni­ger Mona­te – ein Reich­tum, der sich nach dem Ende des Krie­ges zwi­schen 1945 und 1950 ohne Unter­bre­chung fort­set­zen soll­te.

Zeichnung von Willi Baumeister: Saul-Illustration XLII (WVZ-1210)
Saul-Illus­tra­ti­on XLII
(Inv.-Nr. WVZ-1210)