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Willi Baumeister an seinem Schreibtisch

Zita­te von Wil­li Bau­meis­ter

Bau­meis­ter äußer­te sich zu ver­schie­de­nen The­men, mit denen er sich inten­siv beschäf­tigt hat, in Publi­ka­tio­nen, Inter­views, Arti­keln oder Vor­trä­gen. Hier eine Aus­wahl:

Über die Kunst

1943

Natu­ra­lis­mus ist fern der Natur. Je natu­ra­lis­ti­scher ein Gemäl­de ist, des­to mehr wird es zur Wachs­lei­che. Es miß­ach­tet die Zeit.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 109)

1943

Das Künst­le­ri­sche ist gren­zen­los wie die Meta­mor­pho­sen in der Natur. Es setzt sich bestän­dig über das Durch­schnitt­li­che im Emp­fin­den, Den­ken und über die vom Men­schen gemach­ten Gesell­schafts­ge­set­ze hin­weg, weil es vom Urle­ben aus­geht.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 109)

1943

Ihre [die der heu­ti­gen Kunst] gro­ßen Wer­ke sind immer ein­fach, selbst­ver­ständ­lich, ohne Pose. Sie sehen nicht aus, wie wenn sie von jemand gemacht, son­dern als wenn sie von selbst ent­stan­den wären. Natur hat sich geäu­ßert.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 151)

1951

Die geheim­nis­vol­le Kraft eines Kunst­werks steckt in sei­nem form­haft-abs­trak­ten Teil, auch im Ver­hält­nis vom Gegen­ständ­li­chen zu sei­ner künst­le­ri­schen Ver­for­mung. Zu allen Zei­ten ging die Kunst vor­an und gab den Kanon der gerei­nig­ten Sicht für die Augen der Mensch­heit.

(Künst­ler sehen pro­duk­tiv, 1951)

1952

Ein Kunst­werk […] bil­det einen klei­nen Kos­mos, der sich par­al­lel zur Natur behaup­tet.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

1952

Genau so wie bei Betrach­tung der rea­len Natur, die vor­han­de­ne, geahn­te, obers­te Kraft nicht deut­lich sicht­bar, aber doch ahn­bar ist, genau so ist in jedem hohen Kunst­werk eine Kraft spür­bar, die nicht geklärt wer­den kann.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

1952

Das Kunst­werk baut sich in einer ande­ren Logik auf. Es wird zu einem Orga­nis­mus, der nicht auf Imi­ta­ti­on sich grün­det, son­dern aus dem was man Krea­ti­on nennt. Auf der gemal­ten Flä­che spielt sich ein Dra­ma ab, das auf Far­ben und For­men beruht, auf Kon­tras­ten und Ergän­zun­gen, Beein­flus­sun­gen und gewis­ser­ma­ßen auf gro­ßen Umwe­gen zu einer End­har­mo­nie gelangt.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

Über den Künst­ler

1943

Das ori­gi­na­le Pro­du­zie­ren beruht nicht auf ver­gleich­ba­rem Kön­nen, der ori­gi­na­le Künst­ler kann in die­sem Sin­ne im hohen Zustand nichts […]. Das Genie kann nichts und nur damit alles.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 138)

1943

Der Künst­ler ori­gi­na­ler Art sieht eigent­lich nicht. Da er als Vor­ders­ter mit jedem Werk ins Unbe­kann­te stößt, kann er nicht vor­aus­sa­gen, auf was er sto­ßen wird […]. Selbst wenn der Künst­ler, bewegt von einem unfaß­ba­ren Urwil­len, in hohem Bewußt­sein sei­ner Hand­lung, sei­ne Sache sagt, mei­ßelt oder malt, läßt er sich über­ra­schen von dem, was unter sei­nen Hän­den ent­steht.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 138)

1944

Je mehr er [der Künst­ler] sich vom Bekann­ten abhebt, des­to wesent­li­cher sei­ne künst­le­ri­sche Leis­tung.

(Tage­buch, 1.9.1944)

1950

Alles muss eigent­lich aus dem Nichts ent­ste­hen. Das Genie weiß im Augen­blick der Krea­ti­on nichts.

(Vor­trag vor Stu­den­ten einer Werk­kunst­schu­le: Das Krea­ti­ve geht dem Unbe­kann­ten kühn ent­ge­gen, 1950)

1951

Der Künst­ler hält sich wäh­rend sei­ner Arbeit eines­teils an Bin­dun­gen und ver­lässt sie fast gleich­zei­tig bis es zur schöp­fe­ri­schen Rich­tung kommt. Der Künst­ler kommt in sei­nen unwill­kür­li­chen Zustand, in dem er mit sei­nem Werk­stoff allein ist, mit der Natur der Stof­fe und mit sei­ner Natur. Die­se zwei Natu­ren ver­ei­ni­gen sich. Der Künst­ler ist mit sei­ner Mit­te an die Mit­te der Natur ange­schlos­sen.

(Das Unbe­kann­te in der künst­le­ri­schen Pro­duk­ti­on. Vor­trag im Ame­ri­ka-Haus Mün­chen, 2.7.1951)

1952

Des­halb ist für den ech­ten Künst­ler das Wert­volls­te was er an sich sel­ber hat, nicht was die ande­ren von ihm den­ken.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

Über abs­trak­te Kunst

1949

die moder­ne kunst bil­det nicht nach der natur, son­dern wie die natur, par­al­lel zur natur.

(gleich­nis­se zur natur, Der Spie­gel 3, 1949)

1949

jedoch haben moder­ne bil­der fast nur den inhalt der farb- und form­fu­ge und des­halb gibt es gar kei­ne titel, die den inhalt oder gehalt eines moder­nen bil­des tref­fen könn­ten. der wirk­li­che gehalt eines moder­nen bil­des liegt sicht­bar und ver­bor­gen in dem ganz äußer­li­chen dra­ma der far­ben und for­men und all ihren bezie­hun­gen zuein­an­der.

(gleich­nis­se zur natur, Der Spie­gel 3, 1949)

1952

Die abs­tra­hie­ren­de oder abs­trak­te Kunst steht nicht im Gegen­satz zur Natur. Jeder Meis­ter stellt ein neu­es Ver­hält­nis her zwi­schen dem Men­schen und der Natur, zwi­schen dem Men­schen und dem Unbe­kann­ten und Uner­klär­ba­ren, zum Reli­giö­sen. In die­ser neue­ren und neu­es­ten Zeit, die sich vom letz­ten Jahr­hun­dert in allem unter­schei­det, wird wie­der ein neu­es Ver­hält­nis zwi­schen dem Men­schen und der Natur und dem Uner­klär­ba­ren ent­wi­ckelt.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

1952

Die abs­tra­hie­ren­de oder abs­trak­te Kunst ist eben­falls eine Natur­dar­stel­lung, ein Gleich­nis zur Natur.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

1952

Die abs­trak­te Male­rei gibt ein akti­ves Bei­spiel für die unsicht­ba­ren Kräf­te, die stän­dig die Natur aus­for­men.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

1953

Die soge­nann­te abs­trak­te Male­rei ist nicht abs­trakt im Sin­ne von Fremd­heit zum Leben und Men­schen. Die Emp­fin­dun­gen des Künst­lers sind ganz natür­li­che. Eine senk­rech­te, gera­de Linie ver­mit­telt einen ganz bestimm­ten Emp­fin­dungs­wert, den alle Men­schen gleich emp­fan­gen kön­nen. Eine gekurv­te Linie […] löst dage­gen ande­re Emp­fin­dun­gen aus. Eben­so ver­mit­teln die Far­ben und die Far­ben-Zusam­men­stel­lun­gen bestimm­te Emp­fin­dun­gen. Ein dun­kel oder grau gehal­te­nes Bild hat einen total ande­ren Aus­druck als ein bun­te­res oder ganz bun­tes Bild. Die­se ein­fa­chen Aus­drucks­mög­lich­kei­ten sind auch in der alten Kunst die pri­mä­ren Aus­drucks­wer­te, nicht das gegen­ständ­li­che Motiv. Die neue­re Kunst­art gibt die­sen ele­men­ta­ren Mit­teln den Vor­rang. Par­al­lel zur Kunst ist in der heu­ti­gen Zeit auf allen geis­ti­gen Gebie­ten die Bevor­zu­gung des Ele­men­ta­ren bezeich­nend.

(Abs­trakt? Aral-Jour­nal, Heft 2, 1953)

Über Kunst­be­trach­tung

1943

Kunst­be­trach­tung ist ein ein­fa­che­rer Vor­gang als all­ge­mein ange­nom­men wird. Der Zustand des Betrach­ters ist sein Aus­gangs­punkt, nicht sei­ne Mei­nung oder der gesun­de Men­schen­ver­stand. Bei­de sind ver­däch­tig, von der jeweils herr­schen­den Durch­schnitt­lich­keit bestimmt zu sein.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 12)

1949

die viel­jäh­ri­ge, aus­schließ­li­che gewohn­heit, natu­ra­lis­ti­sche bil­der und skulp­tu­ren zu betrach­ten, ist das ein­zi­ge hemm­nis, das das publi­kum dar­an hin­dert, leich­ter einen kon­takt mit der heu­ti­gen kunst zu fin­den. das publi­kum […] will die­se gemal­ten welt in über­ein­stim­mung sehen mit den ein­drü­cken, die es täg­lich vor augen hat. […] an die gegen­stands­lo­se male­rei muß man ganz ande­re for­de­run­gen stel­len. man muß einen ganz neu­en stand­punkt der anschau­ung gewin­nen, der im anfang noch […] gewis­se über­win­dung kos­tet.

(gleich­nis­se zur natur, Der Spie­gel 3, 1949)

1950

Die unnenn­ba­ren Wer­te eines Kunst­wer­kes kön­nen ja eben­so wenig mit Wor­ten gefasst wer­den wie ein Kon­zert von Mozart. Man kann dar­über spre­chen, die­ses und jenes beson­ders her­vor­he­ben, das ist aber auch alles. Der Gehalt eines Kunst­wer­kes bleibt ein Geheim­nis, aber er ist vor­han­den.

(Vor­trag vor Stu­den­ten einer Werk­kunst­schu­le: Das Krea­ti­ve geht dem Unbe­kann­ten kühn ent­ge­gen, 1950)

1952

Die Betrach­tung muss zu einem Erleb­nis füh­ren. Alle Kräf­te, die der Künst­ler geis­tig inves­tier­te, strah­len bei län­ge­rer Betrach­tung zurück. Es ist dazu eine län­ge­re Betrach­tung nötig. Es ist auch wich­tig, dass man nicht vor­schnell urteilt.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

1952

Kunst­wer­ke kann man nicht naiv genug betrach­ten. Da wir alle von einer über­rei­chen Tra­di­ti­on in der Male­rei über­las­tet und fast zuge­deckt sind, ist es ein ers­tes bei der Betrach­tung moder­ner Gemäl­de, die Meis­ter der Ver­gan­gen­heit zunächst zu ver­ges­sen. Die Wer­te der zurück­lie­gen­den Kunst, der Tra­di­ti­on, sol­len in kei­ner Wei­se geschmä­lert wer­den, aber man muss bei dem Betrach­ten neu­zeit­li­cher Kunst nie von der Tra­di­ti­on aus­ge­hen, son­dern man soll­te in sich zunächst tabu­la rasa machen. Gelingt es dem Beschau­er, die­sen Zustand der Nai­vi­tät zu errei­chen, so sind alle Bedin­gun­gen gege­ben, um das Kunst­werk auf­neh­men zu kön­nen. Dem­nach ist der Zustand des Betrach­ters viel wich­ti­ger, als sei­ne mit­ge­brach­te Kunst­kennt­nis und Ablei­tun­gen davon.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

1952

Die Kunst gehört zum Men­schen, um ihn voll zu machen, um ihm ein Gleich­ge­wicht, die Har­mo­nie zu geben, um dem ver­wir­ren­den Getrie­be des All­tags begeg­nen zu kön­nen. Der Mensch wird durch den Umgang mit der Kunst auf sich selbst zurück­ge­führt.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

Über das Sehen und Schau­en

1951

Das ursprüng­li­che Sehen ist ele­men­tar, neu­tral, nicht spe­zia­lis­tisch. Es birgt alle Mög­lich­kei­ten. Das nur natu­ra­lis­tisch-repro­duk­ti­ve Sehen, die kar­ge Domä­ne des natu­ra­lis­ti­schen Zei­chen­leh­rers, ist ein­engend und ver­derb­lich. Es muß beim Sehen eine pro­duk­ti­ve Leis­tung vor sich gehen. Der Seher wird damit zum selb­stän­di­gen Ent­de­cker.

(Künst­ler sehen pro­duk­tiv, 1951)

1951

Das ursprüng­li­che und künst­le­ri­sche Sehen ist mehr ein Schau­en. Es springt nicht sofort auf die Rea­li­tät der Din­ge und ihren Gebrauchs­wert, son­dern Far­ben und For­men genü­gen zu einem bedeu­tungs­vol­len Seh-Erleb­nis oder lei­ten es ein.

(Künst­ler sehen pro­duk­tiv, 1951)

Über Bewe­gung in der Kunst

1952

Der Maler kann auf sei­nem Mal­grund kei­ne rea­le Bewe­gung her­vor­brin­gen. Er kann aber die Emp­fin­dung für Bewe­gung geben. Die­se Schein­be­we­gung ist ein Merk­mal, die fast in der gan­zen moder­nen Kunst zum Aus­druck kommt.

(Über das Eigen­ge­setz­li­che in der Kunst, 1952)

1952

Cézan­ne hat die Bewe­gung und damit die Zeit­sub­stanz in die Male­rei ein­ge­fügt. Die Emp­fin­dung für Bewe­gung ist ab Cézan­ne aus der Male­rei bis heu­te nicht mehr weg­zu­den­ken. Die Sta­tik des Natu­ra­lis­mus war damit ver­las­sen.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

Über das Zeich(n)en

1931

Man muss die Stär­ke einer ein­zi­gen Linie emp­fun­den haben, den Kon­tur eines Bisons aus prä­his­to­ri­scher Zeit, frei­lich nicht wegen des Bisons.

(Über­setzt aus: De l’Art Abs­trait, Paris 1931)

Über die Auf­ga­ben einer Jury

1950

„Segel­schiff“ haben wir noch nicht, das muss hin­ein.

(Bon­mot Wil­li Bau­meis­ters wäh­rend der Aus­wahl für eine Aus­stel­lung des Deut­schen Künst­ler­bunds)

Über die Leh­re

1943

Der Leh­rer hat zu lee­ren, nicht mit sei­nen For­meln zu fül­len.

(Das Unbe­kann­te in der Kunst, 4. Aufl., S. 148)

1950

Kunst ist nicht lehr­bar.

(Vor­trag vor Stu­den­ten einer Werk­kunst­schu­le: Das Krea­ti­ve geht dem Unbe­kann­ten kühn ent­ge­gen, 1950)

1952

Der Ruhm kommt zu dem, der nicht an den Ruhm denkt.

(Ant­wort auf eine Umfra­ge des Süd­deut­schen Rund­funks SDR, 17.12.1952)

Über die Typo­gra­phie

1926

Die her­ge­brach­te Ord­nung ist die sym­me­tri­sche. […] Die Kräf­te­ver­tei­lung die­ser Anord­nung ver­teilt Kräf­te und Span­nun­gen nach bei­den Sei­ten. Kräf­te und Span­nun­gen heben sich gegen­sei­tig auf zuguns­ten der Balan­ce. Ein Anfang und Ein­stieg für das Auge ist bei die­sem Sys­tem nicht vor­han­den. Man wird dau­ernd von der Mit­tel­axe [sic!] ange­zo­gen. Die­se Anord­nung kommt dem Able­sen in kei­ner Wei­se ent­ge­gen […]. Das Ein­füh­ren des Auges in das abso­lut flä­chen­haf­te Sys­tem der Druck­sei­te kann nur durch Ver­la­ge­rung des Schwer­punkts erfol­gen, und zwar nach dem Anfang zu. Dem Start­ort für den Text. Also links oben. Die reich­ver­zier­ten Initia­len der alten Hand­schrif­ten waren funk­tio­nell und des­halb rich­tig. An die­sen Blick­fang hat sich der nun fol­gen­de Text wie die Wagen an die Loko­mo­ti­ve zu hän­gen. Von links oben nach rechts unten herrscht die grund­le­gen­de Bewe­gung.

(Aus: Neue Typo­gra­phie, in Ker­mer 1989, S. 165 ff. )

Willi Baumeister in Stuttgart, Gerokstraße.
Wil­li Bau­meis­ter, Gerok­stra­ße Stutt­gart, 1954.
Foto: Johan­nes Schu­bert (Inv.-Nr. ab-f-003–030-sw_cc) (Inv.-Nr. ab-f-003–030)